Welker Präsident eines blühenden Landes

USA Präsident Barack Obama beerdigt in seiner Rede zur Lage der Nation rhetorisch die Wirtschaftskrise – und schlägt diverse Maßnahmen vor, die der republikanische Kongress niemals mitgehen wird

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Die Demokraten haben im November die Kongresswahlen verloren. Barack Obama ist für seine zwei letzten Amtsjahre mit republikanischen Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus konfrontiert. Doch der US-Präsident tritt auf wie ein Sieger. Er nutzt seine sechste Rede zur Lage der Nation, um eine Erfolgsgeschichte zu erzählen: wirtschaftliche Erholung, Verbesserungen für die Mittelklasse und weniger als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.

Obama stellt auch soziale Reformen in Aussicht, die im scharfen Kontrast zu den Absichten der Republikaner stehen. Mehrfach droht er mit seinem Veto, etwa falls der Kongress versuchen sollte, seine Reformen auszuhöhlen oder die Iran-Verhandlungen durch Sanktionen zu boykottieren.

Außenpolitik bleibt ein Randthema. Obama erwähnt die Öffnung gegenüber Kuba und seinen Plan, beim UN-Klimagipfel in Paris ein verbindliches Abkommen hinzukriegen. Der Nahostkonflikt wird gar nicht erwähnt. Und Europa nennt er nur im Zusammenhang mit den Attentaten in in Frankreich.

Die gegenwärtige Situation beschreibt Obama als Beginn einer vielversprechenden, neuen Epoche. Für ihn ist das „fünfzehnte Jahr des neuen Jahrhunderts“ die Zeit nach „zwei langen und teuren Kriegen“. Nach einer „teuflischen Rezession“ und nach einer „harten Zeit für viele“ singt er eine Lobeshymne auf die Ökonomie, in der er 32 Mal das Wort „Wirtschaft“, 57 Mal „Arbeit“ und mehrfach auch die gesunkene Schuldenlast erwähnt.

Und es klingt geradezu idyllisch, wenn er darüber spricht, dass die USA mehr Jobs geschaffen haben als alle anderen Industrienationen zusammen. Dass es mehr Krankenversicherte gibt als je zuvor, dass die USA jedes Jahr mehr Energie herstellen.

Neben seiner Frau Michelle sitzen auf der Gästetribüne Leute, deren Erfolgsgeschichten der „Storyteller in Chief“ erzählt: darunter ein Paar, das es geschafft hat, den Absturz in der Rezession zu überwinden, und Alan Gross, ehemaliger Häftling auf Kuba, der im Zuge der Annäherung zwischen Washington und Havanna im Dezember freigelassen wurde. Als Obama ihn erwähnt, steht Gross auf und grüßt den applaudierenden Kongress mit erhobener Faust.

Als spräche er zu einem Kongress, der politisch am selben Strang ziehen wolle, zählt Obama Reformen auf, die die USA auf eine Ebene mit anderen Industrienationen bringen könnten: Er will bezahlte Krankentage – maximal eine Woche pro Jahr –, für Beschäftigte einführen, schlägt Breitband-Internet-Verbindungen für alle vor und eine bessere Versorgung mit Kindergartenplätzen. Doch darauf reagieren nur die Demokraten. Sie springen auf und applaudieren, wenn Obama über Fortschritte im sozialen Bereich referiert.

Die Republikaner bleiben sitzen und klatschen höflich, wenn der Präsident Patriotisches über den Einsatz von US-Soldaten und die internationale Führungsrolle seines Landes spricht.

Der sinkende Ölpreis hat die Stimmung im Land verbessert. Umfragen kurz vor der Rede zeigen, dass Obama nach einem langen Popularitätstief wieder über die 50-Prozent-Marke gestiegen ist. Die Republikaner hingegen haben jetzt zwar die Mehrheiten, doch müssen sie mit tiefen Spaltungen in ihren eigenen Reihen umgehen.

Schon gegen die knappe Wahl des republikanischen Sprechers des Repräsentantenhauses haben Abgeordnete vom rechten Rand rebelliert. Bei der kommenden Kandidatenkür für die Präsidentschaftswahl werden moderate und rechte Republikaner noch härter aufeinanderprallen.

Bei Themen, zu denen US-Linke auf Antworten hoffen, äußert Obama sich nur zurückhaltend. Er belässt es bei allgemeinen Bekenntnissen zum friedlichen Zusammenleben von weißen und schwarzen US-Amerikanern – bezieht aber keine Stellung zur Polizeigewalt. Er will den Klimawandel aufhalten – macht aber keine verbindliche Ankündigung, dass er die Keystone-XL-Pipeline stoppen wird.

Und er sagt kein einziges Wort über die Machenschaften der Geheimdienste. Hingegen kündigt er verschärfte Sanktionen „gegen ausländische Nationen“ an, die den „Datenschutz von US-Familien“ verletzen.

Kaum ist Obama fertig, ergreift in einem kleinen Nebenraum, ebenfalls vom Fernsehen übertragen, eine von der republikanischen Partei bestimmte Abgeordnete das Wort zur Entgegnung auf die Rede des Präsidenten. Joni Ernst aus Iowa stellt sich als „Mutter, Soldatin und Politikerin“ vor. Dann spricht sie acht Minuten, ohne auf Obama zu antworten. Sie zeichnet ein so gegensätzliches Bild, als spräche sie von einem anderen Land: der Wirtschaft gehe es schlecht, die Löhne seien zu niedrig, die Jobs zu wenige.