Der integre Geheimagent

Seit 2007 aber kann über ihn die große Agentengeschichte erzählt werden

Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens im Jahr 2013 ist ja auch dies bekannt: Es gibt sie, die guten Geheimdienstagenten, jene mit innerem Kompass und moralischer Richtschnur. William „Bill“ Binney, Jahrgang 1943, galt schon vor dem Aufsehen um Snowden als einer der ihren.

Der etwas bieder wirkende Kryptoanalytiker mit den antiquierten Krawatten arbeitete 37 Jahre beim US-Geheimdienst NSA – zuletzt war er dort als Technischer Direktor verantwortlich für die Datensammlung und -filterung – und hatte rund 6.000 Bedienstete unter sich. Kurz nach den Terroranschlägen in den USA im Herbst 2001 quittierte er seinen Dienst. Sein Motiv: Die neuen Pläne, wonach die NSA sämtliche weltweit verfügbaren Daten sammeln wollte, um diese bei Bedarf auszufiltern („Catch-all“), wollte er nach eigener Aussage nicht mittragen.

Über Binneys genaue Motivlage wird bisweilen diskutiert: Einer seiner Beweggründe war zumindest, dass die NSA sich für die Entwicklung eines aus seiner Sicht zu teuren und uneffektiven Programms entschieden hatte. Er selbst hatte für die Förderung eines alternativen Spähprogramms gekämpft. Seit 2007 aber kann über ihn die große Agentengeschichte erzählt werden: Damals stürmten bewaffnete Spezialkräfte sein Haus. Binney war wegen seines Kampfes gegen Totalüberwachung zum Staatsfeind geworden.

In Deutschland genießt er dafür eine seit Jahren steigende Beliebtheit. Als Vortragsredner hielt er etwa 2012 beim Jahreskongress des Chaos Computer Clubs einen Vortrag über Massenüberwachung – später bestätigten die Snowden-Enthüllungen seine Ausführungen. Als einer der führenden Kritiker gegen die Totalüberwachung durch US-Behörden ist Binney nun ein gebuchter Vortragsreisender. Als der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre seine Arbeit aufnahm, war dort auch Binney geladen – und zeichnete, im Rollstuhl sitzend, ein düsteres Bild vom aus seiner Sicht „totalitären Charakter“ der NSA-Datensammlung, gegen die er noch immer entschieden kämpft.

Am Donnerstag erhält der Mann, der sein Geburtsdatum geheim hält, in Berlin einen Preis, der wie ein schnöder Kerzenständer aussieht: den Sam-Adams-Award. Mit der Auszeichnung zeichnet ein Gremium ehemaliger Geheimdienstler besonders integere Genossen aus – um so auch andere Agenten zum Whistleblowing zu ermutigen.

MARTIN KAUL