Trägheitskräfte und Höhenflüge

KAMMERPOP Mit Konzerten von Hauschka und A Winged Victory for the Sullen präsentierte die Volksbühne ein ästhetisches Gegensatzpaar

Postklassisch: Genau definieren lässt sich diese Stilrichtung nur schwer, aber Minimalismus spielt für sie eine wichtige Rolle, ebenso eine diskrete Nähe zum Pop. Zur postklassischen Musik zählt man etwa die Veröffentlichungen des Labels 130701, eine Untermarke der britischen Fat Cat Records, bei dem regelmäßig Platten der Pianisten Hauschka und Dustin O’Halloran erscheinen. Beide konnte man am Tag der Deutschen Einheit in der Volksbühne erleben, wo sie allerdings nicht für einen politischen Zweck, sondern einfach vor zahlendem Publikum spielten.

Das war zahlreich erschienen, in erster Linie wohl, um Volker Bertelmann alias Hauschka und sein melodisch-perkussives prepared piano zu hören, mit dem er selbst große Häuser füllt. Vorab aber durften A Winged Victory for the Sullen dem Saal eine Lektion in Entschleunigung erteilen. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Kollaboration von O’Halloran und Adam Wiltzie vom Drone-Duo Stars of the Lid. In dieser Begegnung können, wie sich zeigte, beide Musiker ihre Kräfte bündeln, ohne groß ihre individuellen Strategien abwandeln zu müssen.

Langsame Töne mag der eine wie der andere, Wiltzie allerdings bewegt sich in seinem musikalischen Schaffen besonders deutlich am unteren Tempolimit, mit Liegetönen, deren dräuende Schwere mitunter depressiv anmutet. O’Halloran hingegen spielt als viel beschäftigter Filmmusiker eher ins Elegisch-Cineastische und hat auch keine Angst vor ausgreifenden Melodien. In Kombination ergibt das eine Zeitlupenspannung, bei der die Trägheitskräfte des einen etwas an Bodenhaftung verlieren und die Höhenflüge des anderen vor dem Abschweifen ins Kitschige bewahrt werden.

Die einzelnen Stücke gerieten vielleicht ein bisschen zu gleichförmig, doch insgesamt machten A Winged Victory for the Sullen, die gerade ein gleichnamiges Album veröffentlicht haben, das Beste aus beiden Welten.

Unverhohlen lebensfroh

Der Kontrast zu Hauschka hätte kaum größer sein können. Wo die einen nur noch Rudimente von Takt erkennen lassen, ist bei dem schlanken Mann mit Freude an vortragsähnlichen Mikrofonansagen fast alles Rhythmus, kompakt, ineinander verschachtelt und unverhohlen lebensfroh. Vor allem als Solist demonstriert er das sehr kunstvoll an seinem Instrument, einem Flügel, dessen Innenleben er mit diversen Objekten vollgestopft hat, um für unterschiedliche Klangfarben zu sorgen.

Auf seiner neuen Platte „Salon des Amateurs“, von der er einige Nummern spielte, lässt er sich jetzt zum ersten Mal vom Schlagzeuger Samuli Kosminen von der isländischen Band Múm begleiten. Dass Hauschka sich diesmal von House und Techno inspirieren ließ, passt zu seinen Verfremdungsstrategien am Klavier, schränkt mit dem begradigten Beat allerdings zugleich die rhythmische Komplexität seiner eigenen Patterns ein. Auch könnte man fragen, wie gelungen diese „organischen“ Annäherungen an den Maschinen-Sound von Clubmusik tatsächlich sind. Der belebendere Teil des Konzerts war es allemal.

TIM CASPAR BOEHME