Stefan Osterhaus schaut sich in den Galerien von Berlin um

Die Möglichkeit des Scheiterns hat Michael Müller schon in den Titel einbezogen: „Das Scheitern der Oberfläche“ heißt die Ausstellung des in Berlin arbeitenden Künstlers, die auf den ersten Blick beeindruckend und auf den zweiten beklemmend ist. Porträts hängen an den Wänden, Bilder bedeutender Menschen. Der Künstler galoppiert durch die europäische Geistesgeschichte. 95 Texttafeln hängen hier, denen er jeweils ein Porträt zugeordnet hat. Milton, Wittgenstein, Marx, er macht vor niemandem halt und verführt zu der Frage, was denn bei ihnen alles Oberfläche ist. Und zwischen den Portraits hängen großformatige Bilder, die hauchzarte, kurze Striche auf weißem Untergrund zeigen. Vielleicht Staub, der auf der Oberfläche haften bleibt, was tröstlich wäre, denn so bleibt die Oberfläche wenigstens auch greifbar.

Und dann ist da auch noch eine kleine Skulptur, die wie ein großer Berg Koks aussieht, oder vielleicht einfach nur zerstampfter Gips. Und ganz rechts sehen wir Anders Breivik, den er als Märtyrer verewigt, obschon der Attentäter von Norwegen noch nicht das Zeitliche gesegnet hat. Breivik sah sich in der Nachfolge der Kreuzritter, und Müller protzt mit Bildungsbeflissenheit bis in die Antike. „XI. Gesang“ – so lautet der Titel einer Installation in einem gefliesten Raum, der abgedunkelt ist und schnell klaustrophobische Ängste erzeugen kann. Da bezieht sich Müller auf die Odyssee, die scheinbar endlose Reise mit der ernüchternden Wiederkehr. Doch er ist auch bibelfest: ein Turm, gemacht aus Lautsprechern, die Steigerung des Wall of Sound. Die Assoziation, die das Stimmengewirr erzeugt, ist naheliegend, hier nimmt der Künstler Bezug auf Babylon und das Scheitern des Turmbaus. So spielt Müller allerlei Ideen gegeneinander aus. Heikel sicher, aber gescheitert ist er nicht. Und wenn schon, dann ziemlich großartig.

■ Michael Müller: Das Scheitern der Oberfläche; bis 5. November, Di.–Sa. 10 bis 18 Uhr, Galerie Thomas Schulte, Charlottenstraße 24