Til Mette trifft Wilhelm Busch

Til Mette ist Karikaturist des „Stern“ und der taz Bremen – und bekennender Anhänger von Wilhelm Busch. Dem widmet das Busch-Museum Hannover derzeit zwei Sonderausstellungen: Die eine betrachtet die Nachfolger, die andere seinen Bezug zur Moderne. Ein gemeinsamer Rundgang

„Als ich 30 war, hatte ich eine ganz andere Lust an der Provokation als heute“

AUS HANNOVER FRIEDERIKE GRÄFF

„Es ist bestimmt wert, über Busch zu sprechen“, schreibt Til Mette im Juni. Ja, man könne auch gemeinsam durch das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover gehen und über den Einfluss von Busch auf nachfolgende Karikaturisten nachdenken. Mette hat dort gerade eine Ausstellung, „Meine Welt“ heißt sie. Darüber hinaus hat Til Mette jede Menge Deadlines, jede Woche eine neue, wenn er seine Cartoon-Seite für die nächste Ausgabe des Stern zeichnet. Und er hat zwei Töchter, die zum Kindergarten gebracht werden und bekocht und ins Bett geschickt sein wollen. „Meine Frau ist auf Dienstreise“, schreibt Mette dann im Juli. „Ich habe Kinderdienst. Sorry.“

Im September klappt es. Da holt er die Bilder von seiner Ausstellung wieder ab. Dafür gibt es jetzt eine neue Ausstellung im Museum, die „Busch und die Folgen“ heißt und für die junge Zeichnerinnen und Zeichner gefragt wurden, was ihnen zu Busch einfällt. „Das riecht nach Auftragsarbeit“, sagt Til Mette, als er die Ergebnisse sieht. Die ganz Jungen haben Mangas gezeichnet, Volker Reiche hat „Willis Welt“ gemalt, wo Busch als eine Art Wanderbursche auftaucht und Ralf König hat das gemacht, was er immer macht: Schwule Paare. „Max und Moritz aber sitzen/derweil auf der Matraz’ und wixen/auf die Pornos! Wehe, wehe,/ Wenn ich auf die Jugend sehe!“, hat er mäßig rhythmisch dazu getextet. Die Jugend in Form einer Schulklasse sieht sich das genau an, viel genauer als die Mangas und Willis Welt. „Die haben Pornos gezeichnet“, sagt sie und liest die Texte genau.

„Gehen wir zur Avantgarde“, sagt Til Mette. „Das ist interessanter.“ Die Avantgarde, das ist die Ausstellung „Wilhelm Busch. Avantgardist aus Wiedensahl“, im Obergeschoss. Das Moderne an Busch haben die Ausstellungsmacher an drei Aspekten festgemacht: An der Darstellung des Bösen, an Buschs Prosa und an der Abstraktion in seinem Gemälden und Zeichnungen.

Diese späten Bilder hat Busch nur für sich gemalt, nicht zum Verkauf. „Diese Uneitelkeit bei ihm“, sagt Mette und schiebt die Tafel an einem Landschaftsbild in Öl zur Seite. Wenn man die Kühe damit zudeckt, bleiben rechts tatsächlich nur noch Farbe und Fläche, reine Struktur. Nebenan sagt der Sprecher im Film über Busch, dass dessen Sympathie bei den Kindern und Tieren gelegen habe, bei denen, die aus der Dressur ausbrechen, selbst wenn sie am Ende der Ordnung unterliegen. „Man vergisst jedes Mal, wie anders der Zeitgeist war“, sagt Til Mette.

Das Gleiche könnte man über ihn sagen. Es gab Zeiten, in denen es populärer war, die amerikanische Kultur zu schätzen. Til Mette hat 14 Jahre mit seiner Frau in den USA gelebt, die beiden Töchter sind dort geboren und er behauptet, dass es unter anderem die New Yorker Adresse war, die den Chefredakteur des Stern dazu bewogen habe, ihm eine Seite zu geben. Til Mette war Mitbegründer der taz Bremen, für die er bis heute wirkt. Und natürlich ist es nicht das Amerika von George Bush, das ihn geprägt hat. Sondern die Karikaturen des Punch und das Praktikum bei einer Zeitschrift in San Francisco, die bereits in den 80ern einen eigenen Redakteur für schwule Themen hatte. Er findet Cartoonisten wie Sam Gross, Frank Cotham und Leo Cullum „total irre“ und die Europäer, die kaum einen von ihnen kennen, ignorant. „Sie wollen nicht unbedingt Avantgarde sein, sie sind einfach tolle Geschichtenerzähler.“ Er liebt das Minimalistische an ihnen und die Entschiedenheit, mit der sie den Witz erst in der Kombination von Bild und Text entstehen lassen und ihn damit sozusagen dem Betrachter überlassen.

Die Schulklasse, die sich im ersten Stock für Ralf König begeistert hat, ist jetzt im zweiten angekommen. Sie hat nun einen Führer bei sich, der versucht, ihnen Busch als Schocker nahezubringen. „Wir können viel sagen, letztendlich schaltet man Computer doch an, um Killerspiele zu spielen“, sagt er. „Oder?“, fragt er einen Schüler, aber der Schüler schweigt. „Was bei Busch alles abgeht“, sagt der Museumsführer: Hans Huckebein, der Rabe, der sich selbst stranguliert und „vom Brutalsten“, Max und Moritz, die zu Entenfutter zerschreddert werden. „Das wollten die Leute sehen“, sagt der Museumsführer. „Und jetzt zeige ich euch noch etwas Sexistisches“ und er geht mit den Schülern zu der Geschichte vom „Heiligen Antonius“, dessen Haar und Bart bei der Beichte einer jungen Frau die Form eines erigierten Penis annehmen. Die Zeichnung hat Busch eine Klage wegen Verstoßes gegen die guten Sitten eingetragen.

Til Mette hat lange keinen Ärger gehabt. Manchmal fragt er sich, ob das bedeutet, dass er zu zahnlos geworden sei. Früher einmal hat er einen besonders konservativen Bremer Pfarrer als erigierten Penis gezeichnet. Aber die Zeiten sind vorbei. „Als ich 30 war, hatte ich eine ganz andere Lust an der Provokation als heute“, sagt er. Heute ist er 50 und sein Ehrgeiz ist es vor allem, diese erstaunliche Harmlosigkeit in Text und Bild zu erreichen, „aber wenn du es zusammenziehst, ist es hohe Schule“. Möglichst zeitlos sollen sie sein, deshalb zeichnet Mette so gut wie nie die tagesaktuellen Politiker. Deshalb bewundert er den zeitlosen Witz Wilhelm Buschs. Es ist kein lauter Witz, um so froher kann man sein, dass Mette damit seine Familie ernähren kann. Mit Zeichnungen von einer Nazi-Demo vor McDonald’s, bei der Glatzköpfe ein Schild „Deutsche kauft nicht beim Ami“ hochhalten und eine alte Dame ruft: „Mein Sohn hat’n kleinen Öko-Laden. Der ist genau ihrer Meinung.“ Oder die von Josef und Maria, wo eine bebrillte Frau mit Aktenkoffer vor der Jesuskrippe steht und Maria zu Josef sagt: „Sie ist vom Jugendamt und will das Kinderzimmer sehen.“

Til Mette ist guter Dinge, was seinen Berufsstand angeht. Nachdem in den 80ern die Stadtmagazine eine Zeichnerschwemme produzierten, die die 90er nur sehr dezimiert überlebte, habe der Karikaturenstreit noch einmal die Relevanz der Zeichnungen ins Bewusstsein gerufen. Mittlerweile gehen Leute mit komischem Talent nicht mehr ausschließlich zum Fernsehen. Und Til Mette zeichnet mit noch mehr Elan: „Es hat mir totalen Auftrieb gegeben – und in gewisser Weise ist es ein Bekenntnis zur eigenen Sozialisation“.

„Wihelm Busch. Avantgardist aus Wiedensahl“ bis zum 18. 11. im Busch-Museum Hannover