Der den Hut wirft

Ralf Stegner (SPD) tritt zum 15. Januar vom Amt des Innenministers in Schleswig-Holstein zurück. Die Kieler Koalition wird damit weiter bestehen. Und Stegner hat bereits neue Ziele: Er möchte SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2010 werden

Ralf Stegner, 47, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg. 1989 machte er einen „Master of Public Administration“ an der John F. Kennedy-School, Harvard. 1990 wurde er Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Ministerium für Arbeit, Soziales, Jugend und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein. Nach der Landtagswahl 1996 wurde er Staatssekretär im selben Ministerium innerhalb der von Ministerpräsidentin Heide Simonis geführten Landesregierung. 1998 wechselte Stegner in das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Am 1. März 2003 wurde Stegner zum Minister für Finanzen des Landes Schleswig-Holstein ernannt. Seit dem 27. April 2005 gehört er dem von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) geführten Kabinett der großen Koalition als Innenminister an.  leu

VON ESTHER GEISSLINGER

„Ein Stück Freiheit mehr“ gewinne er, und das schon ab Januar 2008 – es klingt, als wäre Ralf Stegner, zurzeit noch Innenminister der Kieler Regierung, zu beneiden. Aber freudestrahlend sah der Mann am Montagabend nicht aus. Gleichzeitig, wenn auch an verschiedenen Orten, verkündeten er und Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, wie es mit der großen Koalition in Kiel weitergehen solle.

Die schwarz-rote Regierung war in der vergangenen Woche in eine schwere Krise geraten, nachdem Stegner bei einer Landtagsdebatte gesagt hatte, er wolle die von der Koalition beschlossene Regelung der Schülerbeförderungskosten wieder ändern (taz berichtete). Die CDU sah das als Vertrauensbruch und Affront. Am Montag hatte Carstensen gefordert, die SPD solle Stegner ersetzen, ansonsten drohe das Ende des Bündnisses. Das Ergebnis nach einer Reihe von Krisengesprächen: Regierung bleibt, Stegner geht.

Nein, das war kein Einknicken vor der CDU, sagte Stegner dem NDR: „Die SPD entscheidet selbst über ihr Personal, und das haben wir immer deutlich gemacht.“ Er habe sich ohnehin aus dem Kabinett zurückziehen wollen, allerdings ein wenig später – um dann die SPD, deren Landesvorsitzender er ist, in den Landtagswahlkampf 2010 zu führen.

Dass Stegner Spitzenkandidat werden will, hatte er bisher so deutlich nie gesagt, es aber auch nie bestritten. Seit Beginn der Koalitionsregierung im Frühjahr 2005 hat er sich für den Angriff auf den Regenten Peter Harry Carstensen in Stellung gebracht: Als streitbarer Innenminister, als mit großer Mehrheit gewählter Landesvorsitzender, als eine bundesweit hörbare Stimme bei innenpolitischen Streitfragen. „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass Ralf Stegner zur A-Klasse der Politik in Deutschland gehört“, sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, der gestern zum Krisengespräch nach Kiel gereist war. Er begrüßte die Entscheidung Stegners.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, äußerte Zustimmung: Es gehe um die Wahlkampfaufstellung seiner Partei. Und Stegner habe entschieden, dass eine andere Aufstellung erfolgreicher sei. Jenseits der offiziellen Stimmen geben SPD-Bundespolitiker aber zu, es sei bedauerlich, wie sich die Ereignisse entwickelt hätten: „Stegner ist für uns ein wichtiger Mann.“

Nun tauscht Stegner das wichtige Innenressort gegen einen Luftposten: „Spitzenkandidat“ ist erstens kein echtes Amt, zweitens keines, das per Selbstproklamation besetzt wird. Stegner hat seinen Hut in die Arena geworfen, es ist Sache der Partei zu entscheiden, ob sie ihn aufsetzt.

Als ihn seine Genossen im Frühjahr mit fast 90 Prozent zum Landesvorsitzenden wählten, war Stegner selbst überrascht, wie er zugab. Denn dem Mann, der so gern Fliege trägt und der sich auf dem Werbefoto auf seiner Homepage mit verschränkten Armen präsentiert, fehlt die Gabe der Volkstümlichkeit. Im kleineren Kreis kann er locker sein, und da wirken seine Talente, seine bissige Rhetorik, sein scharfer Verstand. Doch bei Volksfesten oder auf dem Parteitagspodium punkten andere stärker, etwa Ministerpräsident Carstensen.

Stegner braucht nun, damit er Chancen auf die Kandidatur und später ein gutes Wahlergebnis hat, eine neue Bühne – den Landtag, dem er als Abgeordneter angehört, auch wenn er das Ministeramt verlässt. Daher war spekuliert worden, ob der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Hay das Innenressort übernimmt und damit seinen Platz für Stegner räumt. Diese Frage ist noch offen: Hay sagte gestern, die Fraktion werde über den Zeitpunkt der Vorstandswahl entscheiden. Bliebe es beim dem zurzeit geplanten Termin im Oktober, wolle Hay wieder antreten. Noch-Minister Stegner gab sich kämpferisch: „All die, die mich jetzt abschreiben, werden sich noch wundern.“ Unterstützung bekam er gestern von Ex-Regierungschefin Heide Simonis, die bei der Vorstellung eines neuen Buches die Stärken ihres ehemaligen Finanzministers lobte.

Besonders bitter: Simonis erklärte, dass sie im Sommer oder Herbst 2007 den Platz für einen Nachfolger freigemacht hätte, wäre sie wie geplant zur Ministerpräsidentin gewählt worden. Stegner, der damals als „Kronprinz“ gehandelt wurde, hätte Chancen gehabt, sie zu beerben. Seine Konkurrentin wäre vermutlich die heutige Bildungsministerin und stellvertretende Regierungschefin Ute Erdsiek-Rave gewesen – die jetzt im Poker um die Spitzenkandidatur durchaus eine Rolle spielen könnte.

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