Das Schlimmste kommt noch

THEATER Die Jungen Akteure spüren mit Tanz, Text und viel Charme dem Unbehagen am Kapitalismus nach. Ohne politische Ökonomie, aber mit feinem Blick für Lebenslagen

Im Jahr 2032 wird statistisch gesehen einer dieser jungen Menschen ein überdurchschnittlich erfolgreiches Leben führen

VON ANDREAS SCHNELL

Gewiss, die Sache selbst, sie ist nicht neu. Schon Nietzsche, lehrt uns spätestens das Programmblatt von „Verschwende deine Jugend“, wusste darum. „Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hang zur Vita contemplativa nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“ Andererseits bedeutet das auch wieder nicht, dass sich seitdem nichts getan hätte.

Am Mittwochabend beispielsweise war in Bremen zu sehen, was von der legendären Rock-Band Ton Steine Scherben übrig geblieben ist. Dass das gar nicht so wenig ist, tut hier weniger zur Sache als die dort immer noch durch die alten Songs wehende Idee von gesellschaftlicher Veränderung, von Arbeitskampf und Hausbesetzen, was zumindest in der Theorie auch nahtlos mit „einmal täglich Haschisch“ zu vereinen war. Und der Titel der neuen Produktion der Jungen Akteure verweist auf eine spätere Revolte, als Punk dem System den Mittelfinger zeigte.

Natürlich würden wir hier nie Drogen verherrlichen – aber die beherzt zurückgewiesene Vorstellung, ausgerechnet in dieser Gesellschaft ankommen zu sollen, besticht nach wie vor. Schon anders klang, was am Donnerstagabend im Moks zu hören war. Bildung, hieß es da, sei der Schlüssel zu allem, und: Wenn alle mit den gleichen Bedingungen starten, liegt es an jedem selbst, was er oder sie aus sich macht. Die Eltern wollen ohnehin nur das Beste für ihre Kinder, bis hin zum Luxusmodell mit „abgerundeter Persönlichkeit“. Angesichts solch frommer Lügen und brachialer Erfolgsideologie isses ja kein Wunder, wenn schon Zehnjährige verkünden: „Ich hasse Dreien!“

Mit „Verschwende deine Jugend“, das am Donnerstag vor ausverkauftem Haus Uraufführung hatte, legt Regisseurin Nathalie Forstmann eine höchst aktuelle Studie über eine Jugend in Deutschland vor und erzählt von jungen Menschen, denen einerseits die Welt offen steht, denen andererseits das Leben zugleich zwischen den Fingern zu zerrinnen scheint, weil sie von Kindesbeinen an in Vollzeit damit beschäftigt sind, sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die mit all ihren Chancen notwendig lauter Misserfolge zu bieten hat. In einem wie beiläufig arrangierten Bilderbogen aus Monolog und Tanz fächert das 13-köpfige Ensemble präzise die Drangsale einer Generation auf, die gnadenlos auf Verwertbarkeit gedrillt wird. Nix da mit einmal täglich Haschisch oder Häuserbesetzen oder gar Arbeitskampf!

Aber in die Beschwörung von Bereitsein und Leistung und dem Bestreben, das Beste aus sich zu machen, sickert das Gift der Statistik: Im Jahr 2032 wird statistisch gesehen einer dieser jungen Menschen ein überdurchschnittlich erfolgreiches Leben führen, sagt eine. Klar, dass es da mindestens auch einen unter dem Durchschnitt gibt. Aber es kommt noch schlimmer: Im gleichen Jahr haben sehr wahrscheinlich drei von ihnen eine Psychotherapie hinter sich, sieben werden sich ausgebrannt fühlen. Aber wer? Verdammte Unsicherheit. Kein Wunder, dass es in dieser Welt vor Phobien nur so wimmelt.

Nein, Langeweile hat da keinen Platz. Weshalb es wohl auch in diesen Körpern unentwegt rumort, zuckt, zappelt, wenn sie gerade nichts zu tun haben. In der Kunst – und dieser Abend ist das ganz sicher: Kunst – lässt sich das in Tanz auflösen, mündet diese im Übrigen oft ausgesprochen heiter und gewitzt vorgetragene Klage in einen poetischen Teil, in dem das Ensemble vor einem Glitzervorhang in einer Art Pyjama-Party den minimalistischen Bühnenraum betanzt (Choreografie: Birgit Freitag), voll kinetischer Energie, aber jeglichem äußerlichen Zweck abhold. Bis schließlich Bonbonpapier knistert, dessen Inhalt in den Mündern langsam schmatzend verschwindet.

Dass Theater, ließe sich natürlich einwenden, dann auch wieder eine Welt ist, in der Verschwendung nur bedingt Platz hat, der der Gedanke von Verwertbarkeit zudem nicht fremd ist, diesen kleinen Widerspruch muss man allerdings in Kauf nehmen. Wie das Ringen um ein besseres Leben seit jeher immer auch ein wenig Arbeit erfordert. Diesem könnte sich eine kleine Lektion in politischer Ökonomie anschließen. Auf dass es nicht bei der Feststellung bleibt, dass das Leben als Leistungssubjekt nicht sehr erfreulich ist. Ganz anders als dieser Theaterabend.

■ Weitere Vorstellungen: Sa (heute), So, 25. 1. und Mi, 4. 2. sowie Fr, 6. 2. und Sa, 7. 2., jeweils 19 Uhr, Moks