Kreuzberger Bürger sind laut

GENTRIFIZIERUNG Bei einer Stadtteilversammlung im Reichenberger Kiez wird der grüne Baustadtrat Panhoff wegen seiner Flüchtlingspolitik hart angegriffen. Immerhin: Die Veranstaltung kann stattfinden

Weit kommt Hans Panhoff nicht. Der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg spricht gerade über die steigenden Mieten im Kiez rund um die Reichenberger Straße, da fällt ihm eine Frau mit lauter Stimme ins Wort. „Sie lassen die Flüchtlinge räumen. Dass Sie überhaupt hier reden, ist ein Skandal!“ Andere fallen ein. „Wir wollen nicht, dass so ein Arschloch redet“, „Drecksau“, so etwas muss sich Panhoff anhören. Wieder andere aus dem Publikum schimpfen auf die Zwischenrufer. „Wir wollen ihm aber zuhören. Wenn ihr das nicht wollt, dann geht raus!“

Panhoff hat für Freitagnachmittag zur Stadtteilversammlung ins Jugendhaus Chip in der Reichenberger Straße geladen. Rund 70 Personen nehmen daran teil. Die Schreierei kommt wenig überraschend: Panhoff war derjenige, der bei der versuchten Räumung der benachbarten Gerhart-Hauptmann-Schule im Sommer 2014 die Verantwortung am Ende an die Polizei übergab – und damit die Räumung der Flüchtlinge riskierte.

Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ hat daher zum Protest mobilisiert. Die Zwischenrufer sind teils dieselben, die eine Anwohnerversammlung im Görlitzer Park im Juni gesprengt haben. Panhoff kann heute seine Ausführung beenden, die Gruppe verlässt zwischenzeitlich den Raum.

Dass es auch jenseits der Flüchtlinge im Kiez genug Gesprächsbedarf gibt, zeigen die Daten: 2008 lagen die Preise für angebotene Mietwohnungen noch bei 6,20 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Fünf Jahre später zahlt man bei neuen Mietverträgen im Schnitt 10,50 Euro. Gleichzeitig liegt das durchschnittliche Einkommen inzwischen deutlich höher. Das Thema Verdrängung brennt den meisten auf den Nägeln. „Die Bewohner werden ausgetauscht“, bringt einer die Sorge auf den Punkt. Nach anderthalb Stunden in der großen Runde verteilt man sich auf Kleingruppen. Die Veranstaltung dauert bei Redaktionsschluss noch an.

Auch Flyer werden verteilt, Einladungen zur Anwohnerversammlung am Görlitzer Park Mitte Februar. „Widerlich“, sagt einer der Zwischenrufer und lässt den Zettel fallen. Die Fortsetzung des Schlagabtauschs dürfte nicht lange auf sich warten lassen. ANTJE LANG-LENDORFF