Marathonlauf oder Kurzstrecke?

OLYMPISCHE SPIELE 2024

Das Volk darf später über Olympia abstimmen – das Votum ist praktisch verbindlich

Marathon wird eine der Disziplinen sein, falls die Olympischen Spiele 2024 nach Berlin kommen. Knapp über zwei Stunden brauchen die schnellsten Langstreckenläufer der Welt für diese 42,195 Kilometer, die Frauen knapp eine Viertelstunde mehr.

Ein anderer Marathon dauert viel länger – nämlich fast zweieinhalb Jahre. Und er hat bereits begonnen: Der Marathon der Entscheidungen auf dem Weg zum tatsächlichen Stattfinden der Spiele im Olympiastadion und drum herum.

Als Erste sind Ende Februar die Teilnehmer einer Meinungsumfrage dran, einen halben Monat später die Bosse des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Wenn hier schon die Mehrheit fehlt, ist das, was als Langstreckenlauf gedacht ist, schon kurz nach dem Start vorbei – beim echten Berlin-Marathon wäre das ungefähr an der Siegessäule.

Die Einheimischen dürfen laut Gesetzentwurf, den Innen- und Sportsenator Frank Henkel jetzt vorlegte, am 13. September abstimmen. Da wäre, auf die Laufstrecke umgedacht, immerhin schon das Kottbusser Tor erreicht. Und im Sommer 2017 beschließen letztlich die Mitglieder des viel kritisierten Internationalen Olympischen Komitees, ob die Spiele nach Deutschland gehen oder nach Boston, vielleicht auch nach Paris, Rom, Australien oder Südafrika. Dann wäre ein Scheitern wie ein Marathon-Aus am Brandenburger Tor – mickrige 300 Meter vor dem Ziel auf der Straße des 17. Juni.

Dass die Volksbefragung inzwischen auf dem Weg ist – der dafür nötige Gesetzesbeschluss durch die Regierungsfraktionen SPD und CDU im Parlament gilt als sicher –, hat zwei Gründe:

Zum einen hat der Protest gegen eine Teilbebauung des Tempelhofer Felds auch der rot-schwarzen Koalition klargemacht, dass ein solches Großprojekt nicht gegen eine Mehrheit der Berliner durchzuziehen ist. Zum anderen ist dafür aber auch der DOSB verantwortlich, der die als Bewerber infrage kommenden Städte Berlin und Hamburg von Anfang an drängte, die Stimmungslage in Sachen Olympia zu klären. Dass die Abstimmung nicht auf Basis einer Verfassungsänderung erfolgt, die ein solches Bürgervotum bei Großprojekten grundsätzlich möglich gemacht hätte, schmälert die Sache im Kern nicht: Die, die Olympischen Spiele je nach Standpunkt genießen würden oder ertragen müssten, haben die Entscheidung in der Hand. Und politisch verbindlich ist die Entscheidung, auch ohne dass es in der Verfassung steht: SPD und CDU stehen im Wort – mit einem Wortbruch im September kaum ein Jahr vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl würden sie ihren eigenen Untergang besiegeln. STEFAN ALBERTI