Wo das Schema regiert

AUSSTELLUNG Frisch vom Arbeitsaufenthalt in New York zurück, stellt die Berlinerin Claudia Kapp im Braunschweiger Kunstverein aus – und verbreitet mit ihren Installationen wenig frischen Wind

Sehr wohlerzogen scheinen die künstlerischen Ambitionen Claudia Kapps und ihrer KollegInnen

Manche KünstlerInnen haben so ihre Lieblingsmaterialien, die immer wiederkehren. Bei Claudia Kapp ist es wohl das Schlangenleder. 2008 etwa präsentierte sie anlässlich eines Stipendiums im Museum Moderner Kunst in Frankfurt unzählige, aus Schlangenhaut gefertigte Gürtel und Armbänder in einer Performance. Es handelte sich um Asservate, also illegal eingeführte Waren, die der Zoll beschlagnahmt hatte. Kapp wollte damit die gesellschaftlich kodierte Relativität des Tauschwertes einer Ware vorführen: Ist es erst einmal konfisziert, wird selbst ein eventuell wertvolles Produkt vollkommen wertlos.

Ein Stipendium der Niedersächsischen Sparkassenstiftung brachte Claudia Kapp, 1974 in Freiburg geboren, nun in Berlin lebend, im vergangenen Jahr für zwölf Monate nach New York. Die künstlerische Ausbeute dieses Aufenthaltes hat Kapp nun mit ihren beiden ehemaligen Studienkollegen der Bremer Hochschule für Künste, Benjamin Blanke und Anna Jandt, in der Remise des Kunstvereins Braunschweig arrangiert.

Und selbstverständlich dürfen auch hier Schlangenledergürtel nicht fehlen: Sie quellen aus einer Dachluke, assoziieren allerdings eher ein Medusenhaupt, dessen metaphorische Ebene sich nicht erschließt – ihr vormals kritischer Kontext fehlt nämlich.

Sehr wohlerzogen und formal interessiert scheinen insgesamt die künstlerischen Ambitionen Claudia Kapps und ihrer KollegInnen. Dem Kunstverein scheint das zu gefallen, er schwärmt deshalb geradezu, die drei hätten die Remise in „ein poetisch-entrücktes und komplexes Gesamtwerk“ verwandelt. Dazu setzten sie etwa die appellative und nachtaktive Leuchtschrift „YOU YOU“ auf die Dachtraufe des Hauses, verschlossen jedoch dessen Fenster und die Eingangstür mit Holzplatten ähnlich wie in einer gesicherten Ruine.

Der – natürlich nach wie vor gefahrlose – Zutritt wird nun über die Gartentür ermöglicht. BesucherInnen betreten erst einmal einen nüchtern leeren kleinen Ausstellungsraum, eine hinterleuchtete Innentür weist den weiteren Weg hinein ins Dunkel. Erst hinter der nächsten Türe wartet die ganz neue Fünfkanal-Videoarbeit „Rising Set“.

Die beschäftigt sich mit Sonnenuntergängen: Fünf davon sind ästhetisch absolut perfekt zu einem großen Panorama geschnitten. Die bereits arg überstrapazierte romantische Stimmung der Sequenzen wird dann aber auch noch von einer getragenen Erzählstimme begleitet: Sie spricht unter anderem von fünf Türen, die sich öffnen und schließen, alles ganz im Sinne der überindividuellen, kulturunabhängig-kollektiven Grunderfahrungen, nach denen der Psychologe C.G. Jung fahndete.

Aber wären dessen mystisch fundierten Seelenbilder für aufgeklärte Zeitgenossen überhaupt noch derart zu rezipieren? Hier bleibt Claudia Kapp eine Antwort schuldig – so wie man sich als unvoreingenommene BesucherIn ihres aktuellen künstlerischen Überblicks überhaupt vielleicht etwas mehr frischen Wind erhofft hatte. Bei Kapp aber scheint alles lieber artig und nach Schema weiterzulaufen. Sollte das am Ende gar an New York liegen, dem vermeintlichen Hot-Spot? BETTINA MARIA BROSOWSKY

bis 31. November, Kunstverein Braunschweig Abb.: Chamber 2011