Die Verlockungen des Westens

Manche bleiben eisern diszipliniert, andere genießen sämtliche Zerstreuungen. Aber ehrgeizig sind sie, die drei kubanischen Box-Olympiasieger, die der Hamburger Boxpromoter Ahmet Öner der kubanischen Nationalstaffel abgeworben hat. Zwei davon stehen heute in Lübeck im Ring

VON KNUT HENKEL

Breitbeinig sitzt Odlanier Solís auf dem schwarzen Designerstuhl schräg gegenüber vom Boxring im Trainingszentrum des Arena-Boxstalls. Es riecht nach frischer Farbe und Teppichkleber. Erst im August wurde das neue Trainingszentrum mit den angrenzenden Büros bezogen.

Vor einer der Bürotüren wartet Schwergewichtler Solís auf Arena-Chef Ahmet Öner. Gelangweilt spielt er mit seinem Handy. Da schleicht sich Öner von der Seite an und kneift Solís in die kleine Speckrolle, die sich über die mit einem Dollarzeichen dekorierte Gürtelschnalle schiebt. Solís lacht und lässt seine mit einem schmalen Goldrand verzierten Schneidezähne blitzen. Nur zu gut weiß der muskulöse Schwergewichtler, dass er noch ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat. „Aber bis zum 21. September, der Kampfnacht in Lübeck, werden wir auch das im Griff haben“, sagt Trainer Werner Kirsch zuversichtlich.

Zweimal täglich trainiert er mit dem dunkelhäutigem Kraftpaket aus Havanna. Der soll im Arena-Boxstall vom Amateur-Weltmeister zum Champ bei den Profis aufgebaut werden. Der 69-jährige Kirsch soll dem 27-jährigen Solís Disziplin beibringen. Kein leichtes Unterfangen, denn Solís genießt das Leben. Das Dollarzeichen, welches bei Solís die Gürtelschnalle und bei Kumpel Yuriorkis Gamboa die Baseballkappe ziert, ist Programm. An dicken Autos, gutem Essen und leicht bekleideten Models findet Solís durchaus Gefallen. Derzeit lässt sich der im vornehmen Hamburg-Eppendorf lebende Kubaner von einem Landsmann im protzigen Hummer-Jeep chauffieren. Ihm gefällt es in Hamburg, obwohl seine Kumpels Yan Barthelemy und Yuriorkis Gamboa ihre Zukunft eher in Miami sehen.

Keine Perspektive in Havanna

Gemeinsam haben sich die drei im Dezember letzten Jahres in Caracas von der Nationalstaffel abgesetzt. Über Umwege gelangten sie im Mai nach Hamburg zu Arena. Ahmet Öner hat die talentierten Boxer quasi ersteigert. Kubanische Sportler – vor allem Baseballer und Boxer – werden bei Auslandsaufenthalten von mehr oder minder dubiosen Talentscouts beobachtet und gern angeworben. Wer zuerst kommt, sichert sich die Rechte und verkauft sie weiter. So in etwa läuft das Geschäft. Ahmet Öner hat für die drei Boxer, allesamt Olympiasieger von Athen, tief in die Tasche gegriffen. Das sollen Solís, Gamboa und Barthelemy nun mit guten Leistungen im Ring zurückzahlen.

Die Bilanz nach knapp einem halben Jahr im Profilager ist positiv. Solís hat zwei seiner drei Profikämpfe mit einem K.o. beendet, Gamboa sogar drei von vieren. Punch haben die beiden neuen Aushängeschilder des Arena-Teams. Vor allem Gamboa, der genauso wie Solís heute in Lübeck in den Ring steigt, hat es unglaublich eilig. „Ich will Weltmeister werden“, lautet die Maxime des muskulösen 25-jährigen Leichtgewichtlers. Er verheimlicht nicht, warum er in Havanna keine Perspektive mehr sah: „Profiboxsport ist in Kuba nicht vorgesehen. Wir hatten dort keine Optionen, und selbst als Olympiasieger lebten wir auf dem gleichen Niveau wie alle anderen“, erklärt der aus dem Osten Kubas stammende Boxer. Das hat Gamboa immer gestört, denn andere Sportler wie der mehrfache Boxolympiasieger Félix Savón erhielten Vergünstigungen. „Wir lebten unterhalb dieses Status, und das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir gegangen sind“, sagt der Vater einer zweijährigen Tochter. Die hat er, genau wie seine Frau Dunía, aus Kuba schmuggeln lassen. Nun leben die beiden bei Verwandten in Miami. Dort sieht der ehrgeizige und wortgewandte Boxer langfristig seine Zukunft.

Für den eher wortkargen Solís soll der moderne Arena-Boxstall in Hamburg dagegen den Sprung an die Weltspitze bringen. Weltmeister will er genauso werden wie Gamboa und Filigrantechniker Yan Barthelemy. Letzterer lebt und trainiert in Miami. Für die drei Kubaner ist die Umstellung auf das neue Leben in der kapitalistischen Glitzerwelt jedoch alles andere als einfach.

Klingende Namen aus Kuba – dringend gesucht

Das beginnt schon mit den kulinarischen Verlockungen vor und nach dem Training. „In Kuba waren wir im Trainingslager kaserniert. Essengehen oder so war kaum drin“, sagt Gamboa. Doch anders als Solís ist Gamboa überaus diszipliniert. „Der hat Nerven wie Stahlseile und will es wissen“, urteilt Coach Kirsch. Solís, der heute gegen den US- Amerikaner Marcus McGee antritt, lässt es langsamer angehen.

Exzellente Perspektiven haben jedoch alle drei, und Arena-Chef Öner würde nur zu gern weitere Boxer aus der kubanischen Schule verpflichten. Mit Juan Carlos Gomez steht noch ein weiterer Kubaner bei ihm unter Vertrag, und Anfang August scheiterte die Verpflichtung von Guillermo Rigondeaux und Erislandy Lara – zwei ebenfalls mit Amateur-Weltmeistertiteln dekorierte Kubaner. Doch in letzter Sekunde kehrten die beiden Faustkämpfer, die sich in Rio de Janeiro von der Staffel abgesetzt hatten, nach Kuba zurück.

Öner wird es wieder versuchen, denn er will Arena neben dem Universum und dem Sauerland-Boxstall als Nummer Drei auf dem deutschen Markt positionieren. Dafür braucht er klingende Namen oder hoffnungsvolle Talente. Da die großen Namen meist unter Vertrag sind, fahndet Arena permanent nach potentiellen Zugpferden.

Solís könnte eines werden. Mit seiner Vorliebe für Glamour taugt der 116-Kilo-Mann für bunte Schlagzeilen, während Kumpel Gamboa mit seiner Schnelligkeit die Fachwelt beeindruckt. Gerade 64 Sekunden brauchte er, um seinen letzten Gegner, den Österreicher Thomas Hengstberger, in den Ringstaub zu schicken. Im ICE-Tempo soll die Karriere Gamboas, der auf der WBC-Rangliste bereits auf Position 33 geführt wird, weitergehen. Schon im nächsten Jahr wird Gamboa laut Öner reif sein für den Titelkampf. Dem Sohn eines Boxers aus Guantánamo wäre das nur recht. „Ich habe Familie und will nicht so enden wie die alten kubanischen Helden, an die sich niemand mehr erinnert“, sagt Gamboa. Harte Dollar will er verdienen und Lübeck ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur dicken Börse.