Der Objekt-Körper-WG entwachsen

TANZTHEATER Ein Starensemble bieten die Sophiensæle in „Formen Formen“ von Julian Weber auf. Wahrnehmungstheorien werden gut verhandelt – aus den Performern hätte man aber mehr rausholen können

Die Schwächen im Besetzungsmanagement überlagern den eigentlichen Objekt-Körper-Diskurs

VON ASTRID KAMINSKI

Dieser Cast toppt noch die Besetzung, die die Sophiensæle zuletzt bei „Karamasow“ aufboten – schon wieder wird die Freie-Szene-Institution zur Starremise. Die Spitzenchoreografin Meg Stuart, der Szenebär Peter Pleyer, der künstlerische Direktor des Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT) Nik Haffner und Hermann Heisig, der lange Arm von Dinner for One, performen zusammen mit der Einsteigerin Claudia Tomasi „Formen Formen“, ein Stück des noch unbekannten Choreografen Julian Weber.

Vielleicht ist es ja eine neue Geste der Nachwuchsförderung im Tanz, dass sich solche alten Hasen nun im Nebenjob als Probepersonal andienen. Julian Weber hat Bildende Kunst, danach Choreografie studiert. In „Bauhaus tanzen“, einem Projekt vom HZT in Kooperation mit Dessau, fiel er mit „Das Feld“ auf. Dafür ließ er zweidimensionale Farbflächen von TänzerInnen zu labilen Installationen arrangieren – die starken Setzungen der geometrischen Grundformen wurden destabilisiert. Dem Raum ausgesetzt, bekamen die Akteure die hilflose Ausstrahlung von Neugeborenen, gefangen in Perzeptivität und beschränkter Eigenmotorik.

Quader, Prisma, Winkel

Für „Formen Formen“ setzt Julian Weber in einer erklärtermaßen an Minimal Art geschulten, formalistischen Choreografie direkt am dreidimensionalen Objekt an.

Für jede/n der fünf Performer hat er eine einfache geometrische Skulptur aus schweren Holzfaserplatten geschaffen. Pleyer bekommt einen naturfarbenen Quader in Skyscraper-Dimension, Stuart ein oranges Tetris-Atom, Haffner ein grasgrünes achteckiges Prisma, Heisig einen schwarzen Winkel und Tomasi einen flachen Quader mit Lehne in Grau-Pink. Mit diesem Gegenüber verbrachte jeder Teilnehmer einen Monat in seiner privaten Wohnung, die Fotos im Begleitheft zeugen davon. Nebenbei übrigens auch von einer konsequenten Schöner-Wohnen-Verweigerungshaltung – Pleyers Mondrian-Mobile und Meg Stuarts gerahmtes Bruce-Nauman-Plakat einmal ausgenommen.

Aus der Objekt-Körper-WG wurden jeweils einminütige Soli entwickelt, aus deren Bruchteilen, Schnittstellen, Impulsen wiederum ein Gemeinschaftswerk entstand. Auch die Garderobe dazu ist recht formalistisch. Zwei Performer tragen ein oberkörperfreies, drei ein beinfreies Outfit in modischer Schwarz-Weiß-Mix-Optik. Einen ähnlichen Auftrag gab es an die Musikerin Els Vandeweyer, die zu den Situationen Minimal-Patterns für ein Marimbafon und ein präpariertes Vibrafon komponiert hat.

Indem der Choreograf seine Prinzipien auf die Livemusik überträgt, muss er eine weitere Dimension konzeptuell mitdenken. Das gelingt allerdings eher oberflächlich. In Cage-Cunningham-Tradition vermeidet er den Eins-zu-eins-Dialog ebenso, wie er die warme Bauchdeckenresonanz und andere Charakteristika des Marimbafon sich selbst überlässt, erlaubt seinen Performern dann allerdings, ihre Bewegungen teilweise auf der einfachsten rhythmischen Ebene zu koordinieren.

Ähnlich ungelöst ist generell der Umgang mit der Besetzung. Dafür, Möglichkeiten aus den Performern herauszuholen, ihre Charakteristika in minimale Konzentrate zu bringen, reicht es nicht. Die Aneinanderreihung des Materials bleibt unausgearbeitet. In einer Sequenz untersuchen sie die mimetischen Bilder, die sich an die Objekte assoziieren lassen: Schwimmring, Rutsche, Sofa, Surfboard, sowie auch weniger Festgelegtes. In anderen Sequenzen scheinen sie – mit Anleihen aus Xavier Le Roys „Low Pieces“ – die Objektwelt anzubellen, buchstabieren instruktives und raumgeometrisches Vokabular, und am entspanntesten sind sie, wenn sie – nun wirken sie wie eine glückliche Patchworkfamilie – vor dem Panorama ihres in konstruktivistischer Ästhetik arrangierten Skulpturenparks sitzen.

Aus Webers Ansatz geht seine Kenntnis in Bezug auf Wahrnehmungstheorien hervor: die Frage nach nichtbegrifflicher Wahrnehmung genauso wie die Auseinandersetzung mit diskursiven Praktiken im Hinblick auf die Realität des Objekts. Die Schwächen im Besetzungsmanagement überlagern aber, mehr noch als die undichten Stellen im Konzept, den eigentlichen Objekt-Körper-Diskurs. Im Hinblick auf die prominente Besetzung des Stücks könnte nun der Eindruck entstehen, man habe es mit einer Charity Show zu tun – die Etablierten supporten den Newcomer. Aber wie das so ist mit Wohltätigkeit: Man gibt ’nen Euro, aber nicht mehr.