Es muss wehtun

TENNIS Der zuletzt verletzungsanfällige Spanier Rafael Nadal weiß sich zu schinden – und erreicht mit alter Kampfkraft das Viertelfinale der Australian Open in Melbourne

„Er wirkt auf mich wie ein Mann, der sich immer wieder selbst neues Leben einhaucht“

JOHN MCENROE ÜBER NADAL

MELBOURNE taz | Als Rafael Nadal in der zweiten Runde der Australian Open mit der Leidensmiene eines angeschlagenen Boxers durch die Arena schlich, im Duell mit dem US-Amerikaner Tim Smyczek, da hätte man sich über nichts mehr gewundert. Vielleicht hätte im nächsten Moment einer aus Nadals stattlichem Begleittross ein weißes Handtuch in die Kampfstätte geworfen. Doch beim größten aller Wettkämpfer im Wanderzirkus der Tennis-Professionals kommt es inzwischen fast immer anders, als man denkt.

Gerade noch vom Aus beim 5-Satz-Sieg gegen Smyczek bedroht, rückt der immer wieder erstaunliche Spanier nun mit selbstbewussten Schritten voran im Grand-Slam-Tableau. Nach seinem 7:5, 6:1, 6:4-Achtelfinalerfolg gegen den südafrikanischen Aufschlagriesen Kevin Anderson, immerhin die Nummer 15 der Welt, steht Verwandlungskünstler Nadal bereits in der Runde der letzten acht des Turniers. „Ich bin froh und glücklich über das, was ich hier schon geschafft habe“, sagte der bullige Mallorquiner, der zuletzt schmerzlich vermisst worden war im Tennisbetrieb, er, der Mann für die außergewöhnlichen Dramen und Siege, aber auch für die buchstäblich schmerzlichen Auftritte.

Denn wo seine stärksten Gegenspieler fast leidensfrei durch die Tennis-Spielzeiten hindurchziehen, hat Nadal seit jeher seine liebe Müh und Not mit dem eigenen Körper. Auch in der letzten Saison musste sich Nadal wieder längere Zwangspausen nehmen, mal plagte ihn das Handgelenk, mal zwickte ihn der Blinddarm. Er kenne keinen Spieler, sagt Nadals Trainer und Onkel Toni, „der Schmerzen so wegstecken kann wie er, Schmerzen an jedem einzelnen Tag. Das begleitet ihn schon seit frühen Tagen, als Junior und Jungprofi.“ So war Nadals Karriere längst nicht nur eine der großen Triumphe, sondern auch immer eine der zähen Comebacks. „Er wirkt auf mich wie ein Mann, der sich immer wieder selbst neues Leben einhaucht. Mit unheimlicher Disziplin und Willenskraft“, sagt der ehemalige Topmann John McEnroe, „jeder andere hätte wahrscheinlich längst alles hingeschmissen.“

Als er sich gegen den widerspenstigen Smyczek nach einem 1:2-Satzrückstand noch in die dritte Runde vorgeackert hatte, feierte er diesen Sieg wie sonst nur einen Pokalgewinn – ergriffen von der geglückten Aufholjagd, sank er zu Boden und konnte die Tränen der Rührung nicht verbergen. „Ich weiß, dass dies die schwerste Rückkehr in meiner Karriere ist. Auch weil gerade so viele gute Spieler in die Spitze nachrücken“, sagt Nadal und meint damit die Raonics oder Dimitrows dieser Tenniswelt. Es sind hungrige Jäger, die jeden kleinsten Schwachpunkt ausnutzen und auf die körperliche Befindlichkeit eines Rivalen keinerlei Rücksicht nehmen.

Auf einen zeitigen Abschied des Fighters sollte niemand mehr wetten in Melbourne, erst recht nicht nach dem makellosen Achtelfinal-Gastspiel gegen den Service-Riesen Anderson. Als hätte es die schwächere Ausgabe seiner selbst zu Turnierbeginn gar nicht gegeben, erhob sich der Spanier nun in einer verrückten Metamorphose wie selbstverständlich zum Titelkandidaten. „Nie war Nadal so unberechenbar wie jetzt. Aber auch nie so faszinierend wie jetzt“, befand Englands früherer Spitzenspieler Greg Rusedski. Als Nächster könnte der Tscheche Tomas Berdych die neue Power von Nadal zu spüren bekommen: Der hat eh die vergangenen 17 Matches allesamt gegen Nadal verloren. Das ist ein trauriger Weltrekord in den Geschichtsbüchern dieses Sports.

JÖRG ALLMEROTH