Kultur auf der Zwischenrechnung

POTSDAM Weil der Wiederaufbau der umstrittenen Garnisonkirche stockt, sollen Künstler als temporäre Nutzer in das einstige Rechenzentrum vor Ort. Die Stadt findet das gut, die Kirchenstiftung ebenso – mit Einschränkungen

Der Kulturstandort Rechenzentrum wäre ein Erfolg der alternativen Kultur Potsdams

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Dass junge Künstler DDR-Architekturen und Plattenbauten als hippe, temporäre Adressen für ihre Arbeit nutzen, könnte bald auch in Potsdam der Fall sein – und dies an einem höchst umstrittenen Standort. Das einstige Rechenzentrum an der Breitestraße möchte die Initiative „Kulturlobby“ als neuen Kunst- und Kulturort in der märkischen Landeshauptstadt aufbauen. Das Gelände steht dem kontrovers diskutierten Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam im Weg.

Unterstützung mit Einschränkung erhält die Initiative von Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Die Stiftung Garnisonkirche Potsdam samt Förderverein, die auf dem Rechenzentrum-Grundstück die 1968 gesprengte „Soldatenkirche“ wieder rekonstruieren möchte, lehnt eine zeitweise „Zwischennutzung des Rechenzentrums für Kunst und Kultur bis zu seinem Abriss“ ebenfalls nicht ab.

Am Donnerstag dieser Woche wollen die Akteure bei einem öffentlichen Treffen in der Kulturlobby, Am Kanal 57, über das Vorhaben sprechen. Man müsse beraten, „wie wir unsere Vorstellungen umsetzen können“, sagte „Kulturlobby“-Sprecher André Tomczak.

Das fünfstöckige Rechenzentrum war 1971 für den VEB „Maschinelles Rechnen“ errichtet worden. Der triste Plattenblock mit seinen zahlreichen Büros war ein Glücksversprechen des Sozialismus, zierte doch das Mosaik „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ von Fritz Eisel mit 18 Motiven – darunter Gagarins Flug ins All und Einsteins Weltformel e = mc[2]– den Verwaltungsbau. Das heute ungenutzte Rechenzentrum soll abgerissen werden, um der Garnisonkirche Platz zu machen. Derzeit streiten sich aber die Parteien der Stadt, die Stiftung sowie Bürgerinitiativen und Garnisonkirchengegner, ob ein Wiederaufbau der Soldatenkirche wie vorgesehen 2017 beginnen kann.

Laut Jakobs wäre es gut, wenn das Gebäude mit einer Zwischennutzung belebt werden könnte. Angesichts fehlender Räumlichkeiten für die Szene böte das Areal mit rund 5.000 Quadratmeter Fläche eine Perspektive für diese, so Jakobs. Er kündigte jedoch an, dass sowohl über die Höhe der Mietzahlungen und die Betriebskosten als auch über die mögliche Nutzungsmischung in dem Haus gesprochen werden müsse.

Kostenlos wolle die Stadt das Haus, das zuletzt jährlich 112.000 Euro einfuhr, nicht an die Künstler vergeben. Auch sollten nicht nur Ateliers, sondern ebenso Flächen für die Kreativwirtschaft entstehen. Für dies alles „müssen wir eine Struktur finden“, so der OB.

Klar müsse schließlich sein, das Gebäude wieder freizuräumen, „wenn ein Abriss erforderlich werden sollte“. Ein dauerhafter Kulturstandort im Rechenzentrum sei nicht beabsichtigt.

Die Entscheidung für das Rechenzentrum wertete die Kulturlobby als Erfolg ihrer Hartnäckigkeit, die junge und alternative Kultur in Potsdam stärken zu wollen. Der Verwaltungsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, Peter Leinemann, betonte, dass Künstler als Nachbarn willkommen seien. „Wir begrüßen darum den Vorschlag des Oberbürgermeisters, den Potsdamer Kreativen im Rechenzentrum Raum zu geben“. Die Zwischennutzung des Rechenzentrums für Kunst und Kultur sei in seinem Sinne. Dem Turmbau als erstem Bauabschnitt stehe das Projekt nicht im Wege. Für den Zeitpunkt, an dem der Wiederaufbau des gesamten Kirchenschiffes beginne, sei der Abriss des Rechenzentrums vertraglich geregelt. Teile des Rechenzentrums stünden schon jetzt auf dem der Stiftung gehörenden Grundstück, sagte Leinemann.

Exministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hatte vorgeschlagen, als Kompromiss im Streit um die Kirche nur deren Turm wiederzuerrichten.