Innehalten und Besinnung gefördert

betr.: „Ihr lasst uns allein‘“

1. Im von der bündnisgrünen Parteibasis durchgesetzten Beschluss zum Abstimmungsverhalten der Abgeordneten in den aktuellen Entscheidungen zur weiteren Afghanistan-Interventionspolitik der EU und USA und dem bundesdeutschen Beitrag dazu vermag ich keines der Merkmale zu erkennen, die der interviewte Rangin Dadfar Spanta da hineinlesen will. In dem Beschluss wird klar und deutlich unterschieden zwischen dem Isaf-Mandat und dem Tornado-Einsatz bzw. dem Antiterrorkampf. Die zivile Option soll deutlich gestärkt werden. Gerade die unreflektierte Vermischung dieser Handlungsoptionen hat doch dazu geführt, dass die Situation in Afghanistan unklarer ist denn je. Hier bedeutet der Basisbeschluss innehalten und Handlungsoptionen prüfen und vor allem: das Ressourcen-Schwergewicht von der militärischen Option zur zivilen Hilfeoption verschieben.

Was ist an sorgfältiger Reflexion der Optionen und Ablehnung emotionsgeladener Abstimmungskoppelgeschäfte blauäugig und unsolidarisch? Ist mensch nicht geradezu verpflichtet, Freunden ein klares Wort zu sagen und kritische Reflexion einzufordern, wenn von außen betrachtet ein Fortschritt in der Konfliktbewältigung in Afghanistan nicht erkennbar ist? Dazu kann mensch sich auch als afghanischer Außenminister äußern, ohne in Publikumsbeschimpfung à la „blauäugig“ und „naiv“ zu verfallen. Zu solchen Ausbrüchen kommt es in der Regel, wenn einem die Argumente ausgehen und die eigene Haltung nicht durch Fakten zu belegen ist.

2. In Deutschland und anderswo erst recht genießt immer noch die AkteurIn mit der Waffe im Anschlag im Konfliktfall die größere Glaubwürdigkeit als diejenige ohne Waffe in der Hand, selbst dann, wenn das Versprechen des (schnellen) Erfolgs der gewalttätigen Aktion immer wieder uneingelöst bleibt und die Vermischung militärischer und ziviler Handlungsoptionen erkennbar das Chaos und die angerichtete Zerstörung vergrößern. Nach diesem Rezept ohne durch Fakten belegte Erfolgsaussichten immer wieder zu handeln, kann mensch doch kaum noch anders als eben als blauäugig und naiv wahrnehmen: kopfloses Agieren mit Waffenoptionen als Ausweg aus dem zu Recht wahrgenommenen Handlungsdruck, den das Mitgefühl mit den in Afghanistan lebenden Menschen erzeugt. Das Bild des zerstörten Hauses mit der an der Zerstörung verzweifelnden, trauernden Afghanin belegt nur die Zerstörungswut. Ob „terroristische Aktion“ oder „Kollateralschaden“ Ursache der Zerstörung sind, kann durch die reine Bildinformation nicht transportiert werden. Die mit dem Zusammenhang aus Bild und Überschrift formulierte Anklage an die bündnisgrüne Basis appelliert an durch Ohnmachtsgefühle genährte Wut im Bauch, die die rationale Reflexion von realistischen, eben gerade nicht blauäugigen Handlungsoptionen eher verhindert als befördert. Nur mit Wut im Bauch und heißem Herzen ist noch keinem Menschen in Bedrängnis geholfen worden. Von Manipulationsversuchen in diese Richtung sollte die „aufgeklärte“ tageszeitung Abstand nehmen. Der Beschluss der bündnisgrünen Basis zum Abstimmungsverhalten in aktuellen Entscheidungen zur Afghanistanpolitik fördert Innehalten und Besinnung und kann der rationalen Analyse und Entwicklung realistischer Handlungsoptionen nur dienlich sein. Herzlichen Glückwunsch an die bündnisgrüne Basis. REINER PIETRZAK, Hannover

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