Protest ist gefährlich geworden

ÄGYPTEN Vier Jahre nach dem Sturz von Mubarak ist vom Geist jener Tage wenig geblieben. Heute ist der Tahrirplatz abgesperrt und es herrscht ein Demonstrationsverbot

Die meisten Menschen bleiben dieses Mal zu Hause, aus Angst oder aus Indifferenz

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Revolutionsjahrestage sind ein guter Indikator dafür, wie es um ein Land und die Dinge steht, für die die Menschen einst auf die Straße gegangen sind. In Ägypten ist dies der 25. Januar, der Tag, an dem 2011 der Aufstand gegen Präsident Husni Mubarak begann.

Doch anders als bei den bisherigen Jahrestagen blieb der Tahrirplatz dieses Mal gespenstisch leer. Jeder, der sich ihm näherte, riskierte, verhaftet zu werden. Die Militärs hatten den symbolträchtigen Ort abgesperrt und ein Demonstrationsverbot verhängt. Um das zu unterstreichen, wurde am Vorabend die Tahrir-Aktivistin Schaima al-Sabbagh nur wenige hundert Meter entfernt erschossen. Sie hatte mit einigen Dutzend Anhängern einer kleinen sozialistischen Partei Blumen und Kränze auf dem Platz niederlegen wollen, um der 840 Toten des Aufstands zu gedenken. Nach wenigen Minuten wurde die kleine Ansammlung von der Polizei mit Tränengas und Schrotgewehren angegriffen. Laut Bericht der Gerichtsmedizin wurde Schaimas Herz und Lunge durch Schrotmunition aufgerissen.

Am Tag zuvor wurde die 17-jährige Sondos Reda Abu Bakr bei einem Anti-Putsch-Marsch der Muslimbruderschaft in Alexandria von der Polizei erschossen. Am Jahrestag selbst kam es vor allem im Kairoer Armenviertel Matariya zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Muslimbrüder und der Polizei. 20 Menschen starben. Aber vielleicht am auffälligsten war die Leere der Straßen in der 20-Millionen-Stadt Kairo. Die meisten Menschen blieben zu Hause, aus Angst oder aus Indifferenz gegenüber dem Regime und seinen Gegnern.

Am ersten Jahrestag nach dem Sturz Mubaraks hatte auf dem Tahrirplatz Partystimmung geherrscht. Hunderttausende Ägypter waren dort zusammengekommen und gelobten, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen, auch wenn der oberste Militärrat damals bereits die Geschicke lenkte. Im gesamten Umkreis des Tahrir war keine Polizei zu sehen.

Ein Jahr später gab es wieder eine große Demonstration, aber die Lage war angespannt. Der Muslimbruder Mohammed Mursi war bereits Präsident. Es kam landesweit zu Auseinandersetzungen. Büros der Muslimbrüder wurden, meist von maskierten jungen Männern, angegriffen. Jugendliche lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei vor dem Innenministerium in unmittelbarer Nachbarschaft des Tahrir. Es war ein Tag, der Unzufriedenheit auf allen Seiten hinterließ und Sorgen, ob die Revolution im Chaos enden würde.

Am dritten Jahrestag veranstalteten die Anhänger des damaligen Militärchefs und Präsidenten in spe, Abdel Fattah al-Sisi, auf dem Tahrir enthusiastisch eine große Siegesfeier und hielten Poster mit Sisi als Löwen hoch. Sisi hatte ein halbes Jahr zuvor durch einen von weiten Teilen des Volkes unterstützten Putsch Mursi entmachtet. „Exekutiert die Muslimbrüder“ und „Sisi ist mein Präsident“, skandierte die Menge. Ein Polizeioffizier stand auf einer Bühne auf dem Tahrir und sang die Nationalhymne. Damit war die Geschichte der ägyptischen Revolution offiziell umgeschrieben. Das Innenministerium, das in den 18 Tagen des Aufstands zahlreiche der 840 Toten zu verantworten hatte, war nicht nur rehabilitiert, sondern beanspruchte die Revolution nun für sich.

Doch ein anderer Teil Ägyptens demonstrierte an diesem Tag weiter gegen das Regime. „Was auf dem Tahrir gerade passiert, ist, dass sie einen neuen Pharao schaffen, das ist das Letzte, was unser Land braucht“, sagte damals der Aktivist Khaled Daoud bei einem Protest vor dem Journalistenverband, der kurz darauf von der Polizei aufgelöst worden war. Es waren vor allem die zahlreichen Gegendemonstrationen der Muslimbrüder, die zahlreiche Opfer forderten. 49 Menschen kamen am dritten Revolutionsjahrestag ums Leben.

Vier Jahre nach der Revolution ist von deren Geist nicht mehr viel übrig, vielleicht abgesehen von den wenigen Menschen wie Schaima. Symbolisch ist auch, dass am Morgen nach dem Jahrestag des Sturzes von Mubarak dessen einst wegen Korruption verurteilte Söhne Gamal und Alaa Mubarak aus dem Gefängnis entlassen wurden.