Der Versuch, cool zu bleiben

CONTENANCE Bei der EU in Brüssel betonen alle erst einmal, dass sie das Wahlergebnis respektieren. Nur einer hat Schaum vorm Mund

BRÜSSEL taz | Kein Schock, keine Panik: Die EU in Brüssel hat zunächst eher gelassen auf den Machtwechsel in Athen reagiert. Ein ganz normaler demokratischer Vorgang sei die Wahl von Syriza-Chef Alexis Tsipras, hieß es in der EU-Kommission. Den Ball flach halten und Tsipras kommen lassen, war die Devise beim Treffen der Eurogruppe.

So richtig Schaum vorm Mund hatte eigentlich nur Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar fürs Digitale. Tsipras könne mit keinerlei Entgegenkommen rechnen. Weder ein Schuldenschnitt noch ein Ende der Troika sei für Tsipras drin. „Wir bauen darauf, dass er die Realität erkennt“, fügte er warnend hinzu. Ansonsten könne er für nichts garantieren.

Pech für Oettinger: Mit seiner vorlauten Äußerung, die Stunden vor dem offiziellen Statement der Kommission kam, hat er sich wieder einmal isoliert. Denn die Realität hat sich nicht nur in Athen verändert. Auch in Brüssel hat der Wind gedreht. Hier kennt man Tsipras, der ja schon Spitzenkandidat der Linken im Europawahlkampf war. Und hier hält man nichts von den wilden Griechen-raus-Drohungen, die der Spiegel mit Verweis auf die Bundesregierung kolportiert hatte. Kommissionschef Jean-Claude Juncker stellte schon vor Tagen klar, dass ein „Grexit“ nicht infrage komme und dass man das Wahlergebnis respektieren würde – so oder so.

„Die EU-Kommission respektiert voll und ganz die souveräne und demokratische Entscheidung des griechischen Volkes“, gab Junckers Sprecher Margaritis Schinas, selbst Grieche, denn auch zu Protokoll. Die EU-Kommission sei bereit, mit der neuen griechischen Regierung zusammenzuarbeiten. Das war so klar, dass selbst die sonst so fragewütigen EU-Korrespondenten keine Nachfragen hatten.

Kryptisch wie immer dagegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Niemand drängt Griechenland irgendetwas auf“, sagte er. Allerdings gälten Griechenlands Verpflichtungen auch für die neue Regierung.

Die aktuelle EU-Hilfe läuft Ende Februar aus. Sie war schon dem jetzt abgewählten Premier Antonis Samaras von Schäuble aufgedrängt worden; eigentlich wollte auch der konservative Tsipras-Vorgänger kein neues Hilfsprogramm mit Auflagen und Troika-Kontrolle mehr. Wie es danach weitergehen soll, wollten die Eurofinanzminister noch nicht sagen. Während Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem einen Schuldenschnitt ausschloss, sieht man in der Kommission durchaus Spielraum. Juncker hat schon mehrfach die Abschaffung der Troika gefordert; auch eine weitere Streckung der Schulden ist nicht tabu.

Für ein Entgegenkommen sprach sich auch der grüne Finanzexperte Sven Giegold aus. Die Wahl sei eine „Chance auf einen Neuanfang für eine faire Verteilung der Krisenlasten und Bekämpfung der Korruption und Steuerhinterziehung“, so Giegold. Die schlichte Forderung nach einem Schuldenschnitt sei allerdings zu plump. ERIC BONSE