WAS KANN EINE HOSE WERT SEIN, WENN SIE SO VIEL KOSTET WIE EIN PARKTICKET?
: Die Ausbeutung und die Primark-Mädchen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Primark ist ein irischer Kleidungskonzern, in dessen Läden Kleidungsstücke so viel wie Parktickets kosten und infolgedessen kann sich der/die EinkäuferIn auch einen Berg davon leisten. Als die hannoversche Konzernfiliale 2011 eröffnete, versagten die Rolltreppen unter den Menschenmassen, leerte sich die Innenstadt vollkommen in den riesigen Laden hinein, wo es alles gab, was einen Menschen glücklich macht: billige Klamotten. Warum ein Paar Schuhe kaufen, wenn man auch acht Paar kaufen kann? Glückliche Gesichter und Euphorie.

Ich kaufe auch manchmal ein, manchmal kaufe ich mir einen Pullover, obwohl ich schon zwölf habe und auf einen dreizehnten verzichten könnte, aber ich will unbedingt was haben, das löst was in mir aus. Früher, als ich ein Kind war, konnten das nur die anderen, jetzt kann ich selbst mir jederzeit was schenken und mir was wert sein, ich denke, darum geht es.

Aber funktioniert das auch, wenn das, was ich mir schenke, überhaupt nichts wert ist oder fast nichts? Denn was kann die Hose zum Preis eines Parktickets wert sein? Woran lässt sich das festmachen? Hat sie unabhängig vom Preis einen Nutzwert? Und wenn ja, wird dann der Wert der einzelnen Kleidungsstücke geringer, je mehr ich davon habe, weil ich sie im einzelnen ja weniger nutze? Ist eine Hose, die an zwanzig Wochen im Jahr getragen wird, mehr wert, als eine Hose, die an einer Woche im Jahr getragen wird? Und was ist mit der, die abfärbt und deshalb gar nicht mehr getragen wird? Für die aber jemand hart gearbeitet hat, auf den Baumwollfeldern, in den Färbereien und in den Nähfabriken in Bangladesh? Die jetzt aber nicht getragen wird, weil sie eines von vielen Kleidungsstücken ist, die qualitativ eben durchfallen? Spielt das überhaupt eine Rolle? Geht es um mich, der die Hose trägt, geht es um die Näherin, die die Hose näht oder geht es weder um sie noch um mich, sondern nur um ein Prinzip, das eben funktioniert? Geht es überhaupt nur um ein Prinzip, das wunderbar funktioniert und das ist ja auch das, was den Befürwortern dieses Prinzips das stärkste Argument ist: Dass es funktioniert. Ausbeutung funktioniert.

Die glücklichen blonden Primark-Eröffnungstags-Mädchen, die man auf dem Foto in der HAZ sehen konnte, lebten sie vielleicht in Armut, und kann das Armut sein, sich sechs Paar Schuhe auf einen Schlag zu kaufen? Hat ja keiner was zu verschenken, argumentiert ein Kommentar-Klaus.

Die Primark-Angestellten jedenfalls leben zum Teil in einer Zeitarbeitswelt. Wenn sie zum Beispiel mal kurz zur Krebsbehandlung müssen, sind sie raus aus der Zeitarbeitsvertragsverlängerung, wie der NDR berichtet. Krank sollen die VerkäuferInnen bei Primark nicht sein. Das ist gar nicht böse gemeint, das ist nur unrentabel, und das würde sich sicher auf die Preise niederschlagen, wenn so eine Krebserkrankung vom Konzern mitgetragen werden müsste, da hätte kein Kunde für Verständnis, wenn er da jetzt wegen so einem Kranken für eine Hose mehr als für ein Bier bezahlen müsste, oder wenn da in Kambodscha die Arbeiterinnen nur noch vierzehn Stunden arbeiten würden wollen, statt sechzehn, das wollte ja kein Primark-Kunde mittragen. Hat ja keiner was zu verschenken.

Wenn wir für eine Hose den Preis zahlen müssten, der sich aus fairen Arbeitsbedingungen in Südostasien und in Hannover ergeben würde, dann würden wir also nicht einfach eine Hose für einen angemessenen Preis kaufen, nein, wir würden unser Geld an die Angestellten verschenken, weil denen ja regulär nur sehr schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne zuständen. Verständlich, oder? So oder so ähnlich muss Kommentar-Klaus das meinen. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.