AMERICAN PIE
: Deflategate, neue Folge

FOOTBALL Vor dem Superbowl will die NFL die Affäre um die entlüfteten Bälle aussitzen. Dabei gibt es einen Verdächtigen

Die Party, bei der 800 Millionen zuschauen, will sich die NFL nicht versauen lassen

Die mächtigen New England Patriots werden geliebt (in Boston) und gehasst (im Rest des Landes). Trainer Bill Belichick und Quarterback Tom Brady beherrschen seit anderthalb Jahrzehnten die NFL. Ihr sportlicher Erfolg wird respektiert, ihre Methoden sind umstritten. Auf dem Weg zu ihrem sechsten Superbowl-Auftritt droht neues Ungemach.

Missgünstige Medien meldeten, elf von zwölf Footbällen, die die Patriots im Halbfinale verwendet haben, waren nicht kräftig genug aufgepumpt. Die schlappen Bälle wären in dem kalten Regen, der am Spieltag vom Himmel fiel, leichter zu werfen und zu fangen gewesen. Die NFL leitete eine Untersuchung ein, die Patriots beteuerten ihre Unschuld. „Deflategate“, wie die Affäre mittlerweile genannt wird, spaltet die Vereinigten Staaten: Entweder glaubt man den Patriots (in Boston) oder eben nicht (im Rest des Landes). Der konservative Radiomoderator Rush Limbaugh meldete sich (natürlich) auch zu Wort: Er ist (natürlich) überzeugt, dass Präsident Obama an allem schuld ist. Obama, erklärter Fan der Chicago Bears, schweigt präsidial, aber sein Pressesprecher sagt, die Patriots könnten einen guten Pressesprecher gebrauchen.

Titelmelodie, Einblendung: „House of Balls“, Starring: Tom Brady und Bill Belichick. Gaststar: Robert Kraft. Die neue Folge beginnt mit einem genialen Drehbuchkniff: Überraschungsauftritt des Patriarchen am Montag. Robert Kraft, der Besitzer der Patriots und eine der einflussreichsten NFL-Figuren, beruft eine Pressekonferenz ein. Er beantwortet keine Fragen, verliest aber ein Statement. Der emotionale Höhepunkt der Rede: „Tom und Bill sind meine Kumpel. Sie gehören zu meiner Familie. Noch niemals haben die beiden mich angelogen.“ Abgang Kraft.

Rein inhaltlich erfuhr man nichts Neues. Aber dass Kraft sich genötigt sah, seinen beiden wichtigsten Angestellten das Vertrauen auszusprechen, wies doch zumindest nach, wie sehr „Deflategate“ an den Nerven der Klubverantwortlichen zerrt. Kurz zuvor hatte Belichick verraten, dass die Patriots ausführliche Tests durchgeführt hätten, wie die Bälle, wenn man sie von Zimmertemperatur ins Freie verfrachtet, so viel Luft verlieren konnten. Das Ergebnis: Sie konnten. Die New York Times fuhr daraufhin einen Professor für Astrophysik auf, der behauptete, um einen solch rapiden Druckabfall zu erklären, hätten die Bälle mindestens in einer finnischen Sauna aufgepumpt werden müssen. Nachdem der Skandal tagelang ohne offizielle Stellungnahmen vor sich hin gärte, hat die NFL verkündet, was eh bereits jeder wusste: Die Bälle waren zu schlapp, der Vorfall wird untersucht. Die von zwei Spitzenjuristen geleitete Untersuchungskommission habe bereits an die 40 Gespräche geführt mit Schiedsrichtern, Mitarbeitern der Patriots und „Dritten, die über relevante Informationen und Expertise verfügen“. Als dringend tatverdächtig gilt nun ein Zeugwart: Videoaufnahmen zeigen ihn, wie er mit den Bällen im Männerklo verschwindet – und nach 90 Sekunden wieder auftaucht.

Die Ergebnisse der Untersuchungen werden nicht vor Sonntag verkündet, denn dann steigt in Phoenix der Superbowl. Diese Party wird sich die NFL nicht versauen lassen, indem sie offiziell überführte Betrüger antreten lässt. Andererseits wird sie gewiss den größten Star und seinen Trainer nicht sperren, wenn weltweit 800 Millionen Menschen zugucken.

Die Auswahl der Spielbälle obliegt den jeweiligen Quarterbacks. Niemand kann sich vorstellen, dass ein Zeugwart ohne das Wissen des Megastars Brady die Luft aus den Bällen lässt. Erst recht unvorstellbar ist es, dass der als Kontrollfreak gefürchtete Belichick nichts davon wusste.

THOMAS WINKLER