Flensburger Lausbubenstreich

Wie kleine Jungs, diese Flensburger Handballer. Rotzfrech haben sie „König Kiel“ am Samstag mal eben vom Bundesligathron geschubst. Die Kieler fühlen sich an die peinliche Pleite gegen Magdeburg in der Vorsaison erinnert

„Wir haben gespielt, wie Kiel normalerweise spielt.“ Flensburgs Linksaußen Lars Christiansen steht 40 Minuten nach Abpfiff immer noch auf dem Feld, knabbert am Plastikdeckel einer Wasserflasche. Während er den 37 : 32 (20 : 13) -Erfolg erklärt, zieht er einen Mundwinkel höher als den anderen, wie ein kleiner Junge, der stolz ist, den Großen einen Streich gespielt zu haben: „Klingt einfach. Ist es auch. Wir sind 60 Minuten lang gelaufen, haben die Bälle rausgefischt. Und wir haben an uns geglaubt.“ Von Häme war bei Christiansen keine Spur. Aber schön sei das schon immer wieder, gegen den THW zu gewinnen.

Häme hatten die Flensburger Fans derweil zu Hauf übrig für die Kieler. Nach dem klaren Sieg ihrer SG gegen den Erzrivalen brüllten sie das „Hey, hey, Spitzenreiter, Spitzenreiter“ so laut, dass es auch der letzte Kieler in der hintersten Ecke der Kabine gehört haben muss. Flensburg ist jetzt also Erster, Kiel nur Zweiter. Welch eine Genugtuung für die Fans. Und welch ein gelungener Streich für Mannschaft, Verein und auch für die Liga – weil die wieder spannend ist.

„Die Mannschaft ist über sich hinausgewachsen, gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner“, sagte Flensburgs Geschäftsführer Fynn Holpert. Die Pressekonferenz betrat er mit geballten Fäusten und brüllte „Yeah“, ließ die Fäuste sogleich fallen, versteckte sich hinten im Raum, tippte lächelnd SMS.

Die Übermannschaft ist gestolpert. Weil sie den Faden verlor, nach gerade einmal elf Minuten. Dominik Klein donnerte den Ball beim Tempogegenstoß auf den Boden, allerdings zu weit vor der Torlinie, so dass der statt im Tor im Fangnetz landete. Sekunden später wollte Nikola Karabatić Flensburgs Torwart Dan Beutler beim Siebenmeter mit einem Heber überwinden, warf aber nicht entschlossen genug.

Statt 9 : 4 stand es 7 : 4 aus Kieler Sicht. 15 Minuten später führten die Flensburger, mit 18 : 10. Fehlpässe, eine löchrige Abwehr, Torwart Thierry Omeyer bekam die Würfe der Flensburger nicht mehr zu fassen. Die Flensburger stibitzen die Bälle, warfen sich zwischen die Pässe der in den vorangegangenen Saisonspielen so souveränen Kieler, nutzen ihre Chancen mal mit wuchtigen Würfen, mal mit über den Kieler Torwart gehobenen Bällen.

In der zweiten Halbzeit spielte der THW Kiel zwar deutlich besser, konnte den Rückstand gar auf zwei Tore reduzieren (26 : 28). Normalform aber erreichte der Rekordmeister nie. Er habe einen solchen Black-out nicht erwartet, sagte Kiels Trainer „Noka“ Serdarušić nach dem Spiel, aber schon erlebt. In der vergangenen Saison etwa, als der THW dem SC Magdeburg mit 24 : 39 unterlag.

Flensburgs Trainer Kent-Harry Andersson konnte sich bei seinem Fazit der Partie ein Lausbuben-Lächeln ebenso wenig verkneifen wie zuvor Geschäftsführer Holpert. 50 Minuten nach Abpfiff sagte er der taz leise: „Das ist der schönste Sieg gegen Kiel – weil wir gezeigt haben, dass man die Übermannschaft schlagen kann.“ Grinste, zwinkerte und ging. CHRISTINA STEFANESCU