Gästemund tut Wahrheit kund

Der HSV schlägt den 1. FC Nürnberg mit 1 : 0, zeigt spielerisch aber viel zu wenig, um die Fans bei Laune zu halten. Ohne Beinahe-Abwanderer van der Vaart ginge bei den Hamburgern gar nichts

VON JAN KAHLCKE

Hans Meyer gilt als großer Humorist der Fußballtrainerzunft. Auch nach der 0 : 1-Niederlage seiner Nürnberger beim HSV hatte er seinen Witz nicht verloren, fabulierte etwas vom typischen Hamburger Wind, der nicht geweht habe und diesmal folglich auch nicht als Ausrede herhalten könne. Was er eigentlich meinte: Seine Mannschaft hatte eine grottenschlechte Vorstellung abgeliefert.

Über die Leistung des HSV war damit nur gesagt, dass sie weniger schlecht gewesen sein musste. Meyer wäre der Letzte, der so etwas nicht anerkennen würde. Und es klang durchaus liebenswürdig, als er sagte: „Huub, du arbeitest hier fantastisch.“ Wäre nicht noch die zweite Hälfte gefolgt: „Du müsstest nur allmählich anfangen, etwas attraktiver zu spielen.“ Meyer sagt so was mit einem Grinsen in seinem Knubbelnasengesicht, aber in Hamburg klingt es bitter ernst.

Der Gast Hans Meyer war in die Rolle des Hofnarren geschlüpft. Der darf bekanntlich unter dem Deckmantel der Ironie unbequeme Wahrheiten sagen, die alle spüren, aber niemand auszusprechen wagt. Huub Stevens ist mittlerweile gut ein halbes Jahr in Hamburg. Er hat den HSV aus schier aussichtsloser Lage gerettet und in einem geradezu unverschämten Husarenritt noch ins internationale Geschäft geführt. Die spielerischen Mängel konnte Stevens dabei mit der Notlage rechtfertigen, in der er die Mannschaft übernommen hatte. Aber allmählich will man in Hamburg den Fußball sehen, für den der Coach steht. Nach der Partie gegen Nürnberg scheint es, als stehe den HSV-Fans eine weitere entbehrungsreiche Saison bevor.

Ein lauwarmes Altweibersommerlüftchen lag über dem Volkspark, und auch der Sommerfußball war noch einmal zurückgekehrt. Allerdings nur auf Nürnberger Seite. Bei Stevens’ HSV ist alles Arbeit, Arbeit, Arbeit – gut organisiert, aber von einem erschreckenden Mangel an Kreativität. Stevens selbst sprach hinterher von „den Bedingungen“, unter denen man mit den drei Punkten zufrieden sein müsse, und meinte damit die erneut lange Liste verletzter oder – nach den Tätlichkeiten von Demel und Atouba – gesperrter Stammspieler. Dabei ließ der Coach einen Knipser wie Zidan 90 Minuten lang auf der Bank schmoren, den DFB-Kreativen Trochowski immerhin 75.

Stattdessen muss der hüftsteife Zeitlupen-Stürmer Guerrero vorn den Alleinunterhalter geben, dahinter tut Dauerläufer Olić seinen Dienst. Der Kroate, einst als Stürmer geholt, ist der perfekte Stevens-Interpretator: Er rackert unermüdlich von der Grundlinie bis ins Halbfeld, geht aber im Strafraum mit der Eleganz eines Innenverteidigers zu Werke. Wobei Olić am Samstag einen glänzenden Tag erwischt hatte: Neben dem üblichen Kilometergeld verdiente er sich auch noch einen dicken Scorerpunkt, als er den Nürnberger Torwart Blažek mit einer harten Flanke derart anschoss, dass der nur noch auf van der Vaart abklatschen konnte und der Ball irgendwie zum 1 : 0 ins Netz prallte. Immerhin musste der Holländer sich also nicht auch noch selbst die Vorlage zum Torschuss geben – alles andere hängt in der Offensive an ihm. Vier von sechs HSV-Treffern gehen auf sein Konto.

Gegen Nürnberg gab es nicht mehr als ein offensives Strohfeuer, als hätten die HSV-Spieler kurzfristig vergessen, dass Ordnung das halbe Leben ist. Sofort nach der Führung beorderte Stevens seine Mannen zurück. Für die Fans ist die beste Erkenntnis aus jener Phase, dass der HSV die Kontertaktik – zumindest mit der momentanen Not-Abwehr – nicht beherrscht: Nürnberg kam nach dem 1 : 0 zu guten Chancen. Stevens wird offensiver spielen lassen müssen. Und sei es aus purem Selbsterhaltungstrieb.