Die Guten, die Bösen und die dazwischen

TREND Das Fernsehen hinterfragt zunehmend „Respektspersonen“ – zum Missfallen des CSU-Innenministers, aber zur Freude des Publikums

Auf einer Brücke zwischen Schweden und Dänemark liegen zwei Körperhälften: die einer schwedischen Politikerin und die einer dänischen Prostituierten. So beginnt die Krimireihe „The Bridge“. Die deutsch-skandinavische Koproduktion war einer der Höhepunkte des Programmvertriebs ZDF Enterprises auf der größten Programmmesse der Welt, der Mipcom, in der vergangenen Woche in Cannes. Ohne zu viel zu verraten: Dem Ermittlerduo kommt sofort der Verdacht, dass der Täter aus den eigenen Reihen stammen könnte. Und das ist ein Thema, das im Fernsehen immer öfter vorkommt: Die vermeintlich Guten sind in Wirklichkeit die Bösen. Früher war es in einem Krimi undenkbar, dass Richter, Oberstaatsanwälte oder Kriminalkommissare als die wirklichen Verbrecher entlarvt werden. Heute wird die bürgerliche Fernsehgemeinde kaum noch überrascht, wenn solches zur allerbesten Sendezeit geschieht.

In den USA haben solche Stoffe schon Tradition. Aktuell ist dort die CBS-Serie „The Good Wife“ ein großer Quotenerfolg. Inspiriert wurde sie vom Skandal um den Gouverneur von New York, Eliot Spitzer. Der hatte als Generalstaatsanwalt hart gegen Prostitution durchgegriffen – und parallel die Dienste des ältesten Gewerbes der Welt eifrig in Anspruch genommen.

Ein weiteres Beispiel sind zahlreiche Arztserien und -filme, die gründlich den Mythos von den „Göttern in Weiß“ demontieren. „So etwas wie die ‚Schwarzwaldklinik‘ wird es heute nicht mehr geben“, sagt der Fernsehproduzent Hans-Joachim Mendig. Nicht nur er sieht einen tiefgreifenden Wandel, was die Darstellung von Institutionen und Menschen angeht, die früher der Gesellschaft Vertrauen vermitteln sollten: darunter auch die Bereiche Politik, Gewerkschaft, Wirtschaft und Kirchen. „Autoritäten werden in den Medien nicht mehr unkritisch dargestellt“, hat auch der Geschäftsführer des Programmvertriebs SevenOneInternational, Jens Richter, beobachtet.

Für den Medienwissenschaftler Hans Jürgen Wulff ist diese bereits in den 60ern und 70ern begonnene Entwicklung folgerichtig: „Diese Skepsis gegenüber dem institutionalisierten Bereich von Gesellschaft ist mittlerweile ein Stückchen allgemeines Bewusstsein geworden. Wie groß dieses Protestpotenzial geworden ist, zeigt etwa ‚Stuttgart 21‘.“ Ein Abdrängen solcher Bewegungen in die Illegalität wie bei der Hausbesetzerszene in den 80ern hält Wulff nicht mehr ohne weiteres für möglich.

Erst kürzlich hat allerdings Innenminister Hans-Peter Friedrich diese Entwicklung in einem Interview kritisiert: „Früher waren Pfarrer, Polizisten, Lehrer und Beamte Respektspersonen. Diese Respektspersonen sind vor 40 Jahren unter dem Schlachtruf ‚Demokratisierung‘ mutwillig demontiert worden.“

Lag diese Einstellung auch der Entscheidung zugrunde, den letzten, hochgelobten BR-„Polizeiruf 110“ auf 22 Uhr zu verschieben? In „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ geben die Behörden kein glückliches Bild ab.

Friedrichs Kritik jedenfalls lässt außer Acht, dass die Vertuschung von Verfehlungen solcher „Respektspersonen“ in einer modernen Mediengesellschaft nicht mehr möglich ist. Und daher auch zum Thema in Film und Fernsehen werden.

WILFRIED URBE, CANNES