Der Protest weitet sich aus

USA Von Ost bis West, von Nord bis Süd – in immer mehr Orten schließen sich die Menschen der „Occupy Wall Street“-Bewegung an. Weitere Aktionen sind bereits geplant

Seit dem Beginn von „Occupy Wall Street“ schweigt die Tea Party

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Vom Pazifik bis zum Atlantik und von der kanadischen bis hinunter zur mexikanischen Grenze sind am vergangenen Wochenende Demonstrationen durch die USA gezogen. Ihre Schlachtrufe: „Lasst die Banken zahlen“, „Power to the people“ und „Occupy everywhere“. An vielen Orten, darunter Grand Rapids in Michigan, Missoula in Montana, Iowa City und Austin, Texas, besetzen sie weitere Plätze und Parks. Im Bankenviertel von Manhattan rücken die „VeteranInnen“ der Bewegung, die seit mehr als drei Wochen im Zuccotti Park residieren, und die UmweltschützerInnen näher. In der Hauptstadt Washington, wo es zwei besetzte Plätze gibt, traktiert die Polizei DemonstrantInnen aus unmittelbarer Nähe mit Pfefferspray. Sie wollten im Raumfahrtmuseum gegen die Verherrlichung von Drohnen und anderen Tötungsmaschinen protestieren: mit einem Transparent, einer Lesung von Texten des Historikers Howard Zinn und einem Die-in. Nach dem Pfeffersprayeinsatz wird das Museum geschlossen.

Mit Slogans gegen Drohnen, „außergerichtlichen Mord“ und den Krieg in Afghanistan waren rund 1.000 Menschen durch die Innenstadt zum Luft- und Raumfahrtmuseum gezogen, dessen Säle nach den großen Rüstungsherstellern der USA – von Boeing bis Lockheed Martin – benannt sind. Die 54-jährige Linda Weiner, die eigens aus Portland im Bundesstaat Oregon nach Washington angereist ist, ist eine der ersten von mindestens einem Dutzend, die im Museumseingang besprüht werden. Sie berichten von MuseumwärterInnen in weißen Hemden, die „wie American-Football-Player vorpreschen“ und die Sprühdosen aus weniger als zehn Zentimeter Entfernung auf ihre Gesichter richten.

Bei ihrer Vollversammlung auf der Freedom Plaza entscheiden die BesetzerInnen am Abend, das sie den gewaltfreien Widerstand fortsetzen werden. Auf ihrer Bühne hängt eine gigantische Reproduktion der ersten Worte der US-Verfassung, beginnend mit: „We the People“. Diese Worte klangen in den vergangenen Monaten wie das Eigentum der rechten Tea Party, die seit dem Beginn von „Occupy Wall Street“ schweigt. Linda Weiner, deren Augen Stunden nach dem Pfeffergaseinsatz immer noch brennen, sagt zur taz: „Wenn die Polizei so vorgeht, müssen wir uns darauf taktisch einstellen.“

Am Sonntag wollten die BesetzerInnen vor das Weiße Haus ziehen. „Ich will mein Kind nicht großziehen, damit es die Kinder anderer Mütter tötet“ steht auf einem Transparent. Die Vollversammlung berät auch über Aktionen vor dem militärischen Nachrichtendienst National Security Agency, einen möglichen Hungerstreik und über Diskussionen in Vorstädten, bei Straßenfesten und mit Obdachlosen.

Nach Präsident Barack Obama, der am Freitag sein „Verständnis für den weit verbreiteten Unmut gegen das Finanzgebaren“ gezeigt hat, erklärten am Wochenende andere demokratische PolitikerInnen ihre Sympathie für die Proteste. Doch bei der demonstrierenden Basis sind sie nicht unbedingt willkommene RednerInnen. Im Woodruff Park in Atlanta, Georgia, lehnt es eine Vollversammlung ab, einem demokratischen Abgeordneten das Wort zu erteilen. Der schwarze Bürgerrechtler John Lewis muss unverrichteter Dinge abziehen. „Er ist ein Politiker wie alle anderen“, ruft ihm jemand hinterher.

An zahlreichen zusätzlichen Orten sind Aktionen für die kommende Woche geplant. In Winston-Salem in North Carolina sind Proteste wegen Räumungsklagen vor der Bank of America und der Wells Fargo geplant. Im New Yorker Zuccotti Park ruft Umweltschützer Bill McKibben zu einem Ausflug nach Washington auf, um gegen eine Ölpipeline zu protestieren, die von Kanada bis nach Texas quer durch die USA gehen soll und die von der Zustimmung von Präsident Obama abhängig ist. Der Stichtag ist der 6. November. Dann will McKibben den Präsidenten an dessen eigenen Satz aus dem Wahlkampf erinnern: „Ich bin für ein Ende der Tyrannei des Öls.“