LESERINNENBRIEFE
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Kann man nicht neugierig sein?

■ betr.: „Wo bleibt die Öffnung für die Lyrik?“, taz vom 7. 10. 11

Bob Dylan kenne man halt, meint Dirk Knipphals, dadurch könne man seine Texte diskutieren, den neuen Nobelpreisträger Tranströmer kenne man nicht, folglich wäre diese Entscheidung strukturkonservativ. Kann man nicht neugierig sein und jemand, sofern man ihn noch nicht kennt, kennen lernen wollen? Ist es nicht vielmehr strukturkonservativ, genau das zu vermeiden? Ist es nicht die Aufgabe eines guten Journalisten, seinen Lesern just das zu vermitteln, was sie vielleicht noch nicht in- und auswendig kennen? Insofern ist gerade die Lyrik eine Herausforderung, vom sattsam Bekannten wegzukommen, hin zu einem Noch-nicht. Das Dilemma der Lyrik liegt nicht zuletzt darin, dass derzeit die meisten im Kulturbetrieb zu bequem sind, ihre vermittelnde Arbeit aufzunehmen.

DIETER M. GRÄF, Berlin

Virtuelles Leben wird Religion

■ betr.: „Ein verspäteter Hippie“, taz vom 7. 10. 11

Der Tod von Steve Jobs ist natürlich tragisch wie jeder frühe Krebstod. Der Hype um sein Ableben und die Verehrung für einen Unternehmer, der keines der Produkte selbst erfunden hat, die er vermarktete, und diese Artikel in China von Wanderarbeitern unter unmenschlichen Bedingungen herstellen ließ, ist albern, erschreckend, steht aber für unsere komische Zeit, wo das virtuelle Leben zur Religion geworden ist. MARKUS MEISTER, Berlin

Politik als Kungelveranstaltung

■ betr.: „Kompromiss ja, Koalition nein“, taz vom 6. 10. 11

Gespürt: „Wutbürger“ und „der Erfolg der Piraten“. „Wutbürger“, weil ich einen Hals bekomme, wenn ich lese, dass wir jetzt vier Jahre Rot-Schwarz bekommen. Wer hat das denn gewollt? Außer der CDU vielleicht – die sonst keine Regierungsoption hat – will das in Berlin doch niemand. Die SPD-Mehrheit nicht, die Grünen sowieso nicht, die Piraten- und Linken-Wähler wohl auch kaum. Was hat das noch mit Demokratie zu tun? Wozu gehen wir dann noch wählen?

Da steigt in der Tat die Wut in mir hoch. Und erstmals verstehe ich, warum es die Piraten gibt und warum sie mit der Forderung „mehr Transparenz in politischen Prozessen“ so punkten: Trotz vielerlei Statements erfahren wir nicht, welche Position von SPD und Grünen ganz konkret und letztlich zum Scheitern der Koalition geführt hat. Keiner der Beteiligten hat die konkrete Sollbruchstelle zur A 100 benannt, die jeweils letzten konkreten Angebote zitiert und die jeweilige (untragbare) Reaktion der Gegenseite publik gemacht. Stattdessen sich diametral widersprechende Statements, die es dem Leser unmöglich machen zu verstehen, wer den schwarzen Peter hat für das Scheitern der rot-grünen Option. Wäre für eine Bewertung aber der zentrale Punkt!

Unerträglich, undemokratisch, Politik als Kungelveranstaltung in Hinterzimmern. MICHAEL SUHR, Berlin

Um Sachthemen geht es nicht

■ betr.: „Mit Vollgas in die Vergangenheit“, taz vom 6. 10. 11

So wenig ich weiß, ob die Stadtautobahn in Berlin wirklich so schlimm wäre, wichtiger ist: Wenn Grüne und SPD nach dem Wahlergebnis nicht begriffen haben, dass sie die Koalition schaffen müssen, sehe ich schwarz für das ganze Land. Die Zahl der Nichtwähler und der Riesenerfolg der nichtssagenden Piratenpartei in Berlin und in Bundesumfragen zeigen doch, dass es allen (etablierten) Parteien schlecht geht, sie ihre Funktion offenbar freiwillig aufgeben wollen (und Wowereit gar nicht Kanzler werden will).

Statt wenigstens schwierige Gestaltungsversuche in einer wirtschaftsbeherrschten Gesellschaft zu machen, lieber Machtspielchen um die geringer werdende Macht. Künast hat damit angefangen. Was wäre eigentlich aus der A 100 in einer grün-schwarzen Koalition geworden, nur mal so eine Frage…

Um die Sachthemen geht es offenbar nicht, sonst hätte man aus Stuttgart 21 gelernt, Grüne wie SPD und den ganzen Prozess anders gestaltet. Ich bin gegen zu viele Volksabstimmungen über alles und jedes, aber hier wäre sie doch passend.

THOMAS KELLER, Königswinter

„Es hat etwas von lauern“

■ betr.: „Das ist nicht Hokuspokus“, taz vom 4. 10. 11

Menschen sterben. Alle. Der Tod gehört zum Leben, ja das Sterben ist Teil davon. Bei der Frage von „Organspenden“ geht es also nicht darum, ob jemand stirbt, sondern bestenfalls um die Frage wann, also den Zeitpunkt. Das gilt für die „Spender“ genauso wie für die „Empfänger“. Im Grunde lässt man die „Spender“ nicht in Ruhe sterben, die Mediziner müssen den Sterbeprozess beobachten, um beurteilen zu können, wann sie schon weit genug (im rechtlichen Sinn) gestorben sind, aber noch nicht so weit tot, dass man die Organe nicht mehr verwenden kann.

Was das und die Organentnahme für die Sterbenden bedeutet (und wie viel sie davon mitbekommen), wissen wir nicht. Ich für meinen Teil finde schon die Vorstellung, dass eine Gruppe Ärzte während eines so wichtigen Prozesses dauernd Untersuchungen mit mir macht, schlicht unangenehm. Es hat etwas von „lauern“.

Alle, die einer Organentnahme zustimmen, sollten auch über diesen Aspekt informiert sein. Und schließlich: wer sagt, dass der Tod etwas Schlechtes ist? ROLF ZAVELBERG, Köln