DEUTSCHE KARTOFFEL-BIO-POLITIK
: Schlechte Laune, einfach gemacht

VON JURI STERNBURG

Offensichtlich hatte ich diesen Montag von Anfang an unterschätzt. „Du hast keinen dicken Bauch, deine Beine sind einfach etwas weit hinten!“, beruhigte der junge Vater an Gleis 8 seine Tochter. Das Kind jammerte weiter, es wurde wohl in der Schule gehänselt oder hatte im Vorbeigehen in eine der riesigen spiegelnden Glasscheiben des Hauptbahnhofs geschaut, ich wusste es nicht.

Normalerweise finde ich Kinder entzückend, heute jedoch nicht, und der Grund für meine schlechte Laune hieß Simone. Sie war meine ICE-Mitfahrgelegenheit und ass ihren Döner mit einer Plastikgabel. Als der Zug in Berlin einfuhr, verpackte sie den zu einem Drittel verspeisten Döner in ihrer Handtasche, welche so klein schien, dass man ihr empfehlen wollte, doch lieber die Handtasche in den Döner zu stecken. Allerdings war ich auch schon schlecht gelaunt, bevor ich Simone traf, denn wenn ich Berlin verlasse, dann achte ich normalerweise darauf, eine Entfernung zurückzulegen, die eines Flugzeugs bedarf, gestern jedoch musste ich mit der Bahn nach Hamburg auf ein Partyschiff zu einer verordneten Fröhlichkeit.

Wenn man ehrlich zu sich selber ist, sollte man sich in solchen Momenten fragen, woher all der aufgestaute Hass kommt. Mit Ehrlichkeit kommt man nicht weit, ich weiß, doch ohne Ehrlichkeit kommt man eben auch nicht nah, also wurde es Zeit für einen Moment des Innehaltens. Die Party hatte nicht mehr versprochen, als sie halten konnte, frei nach dem Motto: Mach dich selber zum Affen, dein Gegenüber hat es nicht anders verdient. Doch diese eine Party konnte niemals der Grund für meine zeitweilige Depression sein. Ich hatte eindeutig das ungewisse Etwas.

Vielleicht war es die Summe der Partys, ist doch die Definition des Dauerfeierns dieselbe wie die des Wahnsinns: Immer und immer das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Für mich kein Argument, ich hatte die letzte Woche äußerst erlebnisreich verbracht: Ich war Go-kart fahren und prellte mir eine Rippe, spielte Schwarzlichtminigolf in einer Weltraumlandschaft, verlor 50 Euro beim Pokern, wurde als Beifahrer von der Polizei angehalten und fuhr zu guter Letzt auf einem mit Zapfhahn und Tresen ausgestatteten Bierbike durch Berlin.

Dass all diesen Tätigkeiten dieselbe Antriebsquelle zugrunde lag, ist dabei genauso zweitrangig wie die Frage, ob ich allgemein glücklicher wäre, wenn ich mit Kafka befreundet wäre, immerhin ergibt minus mal minus gleich plus. Keine Antworten in Sicht, die Hände in den wirren Haaren, so saß ich da. „Montag ist Spiegel-Tag“ stand auf einer Werbetafel, und da wusste ich es wieder, sah es vor mir wie in einer Familienaufstellung. Die anderen waren schuld.

Ich wurde bereits die gesamte Hinfahrt über gefangen gehalten von einem philosophischen Bermudadreieck der scheinbar verfeindeten Vordenker. Sie spannten ein Magnetfeld durch das Abteil, woben ihre Netze der Unnahbarkeit zwischen den Sitzen, und ich war mal wieder der Leidtragende.

Ich schaltete auf Panoramafunktion: Links von mir saß Matthias Matussek, die Medienmaschine, kritzelnd und fluchend. Rechts vorne ein sichtlich zerstörter Detlev Buck, unfähig die Jeansjacke auszuziehen und doch schwitzend. Direkt in meinem Nacken hatte ich die gierigen Augen von Volker Kauder, das Smartphone immer am Ohr, doch niemals sprechend, so als wären ihm die krebserregenden Strahlen tausendmal lieber als die eigen Gedanken. Ausgangspunkt aufgedeckt, Selbstanalyse erfolgreich abgeschlossen, die nächste Veranstaltung kann kommen.

Das Mädchen, das ich heute nicht entzückend fand, stand inzwischen im Kreuzfeuer der Kritik, denn laut der Mutter war der Kartoffelsalat schuld am Übergewicht. „Wir sind Deutsche“, polterte der Vater da los, „und so lange es Deutsche gibt, wird es Kartoffeln geben – und andersrum!“