Kunstfälschung versus Massenmord

Die Geschichte der Bremer Kriminalpolizei im „Dritten Reich“ ist weitgehend unerforscht. Um so spannender sind die Ermittlungen von Kai Artingers „Kommissar Lüder“. Denn der bewegt sich im Umfeld des „Raubs durch Kauf“ durch die Nazis

Von der Bremer Polizei im „Dritten Reich“ sind, wenn überhaupt, die Verbrechen ihrer „Bataillone“ bekannt: Kasernierte Einheiten wurden in eroberten Gebieten bei so genannten „Säuberungsaktionen“ eingesetzt. Im September 1941 zum Beispiel war das Bremer „Wachtmeister-Bataillon“ an der Erschießung von 33.771 Juden in der Schlucht von Babi Jar in der Ukraine beteiligt. Weitgehend unbeachtet ist hingegen die Einbeziehung der „normalen“ Kriminalpolizei in den NS-Apparat.

Rühmliche Ausnahme ist ein vereinzelter Aufsatz, den die Bremer Polizei selbst herausgegeben hat. Dass die Thematik ansatzweise etwas allgemeiner bekannt werden könnte, ist jedoch das Verdienst eines Kriminalromane schreibenden Kunstwissenschaftlers: Mit „Die Sphinx von Amsterdam“ hat Kai Artinger jetzt den dritten Teil seiner Kommissar-Lüder-Trilogie vorgelegt.

Nachdem Lüder bereits in der NS-infizierten Worpsweder Künstlerkolonie einen Mord im Hause Mackensen aufklären musste, ließ Artinger seine Kunstfigur zunächst in der Trümmerlandschaft der unmittelbaren Bremer Nachkriegszeit agieren: Anhand des Mordes an zwei Bauernfamilien erzählt er von den Lagern der „Displaced Persons“, wie die übrig Gebliebenen der ursprünglich 70.000 nach Bremen verschleppten ZwangsarbeiterInnen genannt wurden. Mit der „Sphinx“ springt Artinger nun wieder zurück in die Schnittmenge aus Kunst- und Polizeigeschichte, die schon Band eins zur überaus informativen Lektüre gemacht hat.

Als zeitlichen Fokus wählt Artinger den November 1940: Der Bremer Bürgermeister lässt sich auf einer Reise in die ein halbes Jahr zuvor besetzten Niederlande vom Direktor der Bremer Kunsthalle begleiten. Emil Waldmann, 1933 wegen „Vernachlässigung der Heimatkunst“ fast abgesetzt, soll ihn beim Erwerb niederländischer Kunst beraten – die Ausnützung der Notlage jüdischer Sammler ist als „Raub durch Kauf“ in die Provenienzforschung eingegangen. Diesen Beutezug hat Artinger aus Materialien des Bremer Staatsarchivs rekonstruiert, um drum herum die Geschichte einer im Widerstand arbeitenden Kunstfälscher-Clique zu konstruieren – so kommt der Kommissar ins Spiel.

Artinger interessiert sich also weniger für die offensichtliche Indienstnahme der Bremer Kriminalpolizei in den NS-Vernichtungsapparat – wie bei der Verschleppung Hunderter Bremer Juden und „Zigeuner“ ins KZ. Die Jagd auf einen untergetauchten Amsterdamer Kunsthändler, der den Bremer Bürgermeister mit einer Fälschung genarrt hat, zielt vielmehr auf die Entwicklung eines subtilen Gewissenkonflikts: Wann erkennt der altgediente Kommissar, dass Kunstfälschung ein lässliches Delikt ist angesichts eines immer brutaler werdenden Besatzungsregimes? Bei der rasanten Jagd durch Grachten und Galerien erlebt der Leser sozusagen nebenbei die Niederschlagung des Amsterdamer Generalstreiks vom Februar 1941 und die Vorbereitungen für die Errichtung eines Amsterdamer Ghettos im Bereich der „Joodenbuurt“.

Bei der Auffächerung all dieser Schauplätze bleibt Artinger seiner Lust am fiktiven Verweben möglichst vieler Einzelschicksale treu. Dass daraus in der Summe ein etwas konstruiertes Ganzes wird, mindert die Spannung zum Glück nur wenig. Schließlich ist die Perspektive eines keineswegs widerständigen, aber traditionell sozialisierten Polizeibeamten zum Verständnis der sukzessiven Auflösung rechtsstaatlicher Normen sehr gut gewählt. Im April 1942 veröffentlichte die Kriminalpolizeileitstelle Bremen eine diesbezüglich sehr aufschlussreiche „allgemeine Bekanntmachung“: „Polizeihaft ist zulässig, wenn ihre Anordnung dem gesunden Volksempfinden entspricht.“ HENNING BLEYL

Kai Artinger: Die Sphinx von Amsterdam, Schardt-Verlag Oldenburg. Eine Lesung ist für den 13. 12. in der Bremer Stadtbibliothek – dem ehemaligen Polizeihaus – geplant