Herzklopfen im September

Pünktlich zum Art Forum eröffnen neue Galerien in Berlin. Obwohl es an Galerien in Berlin weiß Gott nicht mangelt. Aber der Nachwuchs nimmt das Wagnis auf sich. Aus Liebe zur Kunst, vielleicht auch Abenteurertum, und um eigenes Profil zu gewinnen

VON TIM ACKERMANN

Den allerneuesten Kunst-Hotspot erkennt man daran, dass es noch keine Stühle gibt, um sich hinzusetzen. Oliver Koerner von Gustorf und Frank Müller hocken auf der Ladefläche eines Transporters. Sie baumeln mit den Beinen und denken nach. Darüber, was sie da geritten hat, vor zwei Monaten.

Eigentlich gibt es genug Galerien in Berlin für zeitgenössische Kunst. Und trotzdem werden es jährlich mehr. Rund ein Dutzend Galeristen sind pünktlich zur Kunstmesse Art Forum umgezogen oder gehen erstmals ins Rennen. Zur zweiten Kategorie gehören Müller und Koerner von Gustorf mit „September“.

Im September ist das Licht am schönsten. Der Monat erinnert an Reife und hat irgendwie mit Tod zu tun. Genauso wie die Galerie. „Frank hatte eine kleine Summe von einem alten Freund geerbt“, erzählt Koerner von Gustorf. Dann entdeckten die beiden die Räume in einer alten Druckerei. Der Entschluss fiel innerhalb von einem Tag. 120 Quadratmeter, 1.400 Euro Miete.

Die beiden steigen hoch ein: „September“ liegt im neuen angesagten Galerienviertel um die Kochstraße. 35.000 Euro gingen für die Renovierung drauf, 15.000 Euro für die erste Ausstellung. Zur Eröffnung wird die Malerin Kerstin Drechsel gezeigt, die im Bildband „Neue deutsche Malerei“ schon neben Neo Rauch und Daniel Richter besprochen wurde. 9.000 Euro kosten ihre Arbeiten bei „September“. Drechsel wird auch neuerdings von den Galeristen vertreten. Sollte es mit den Verkäufen wider Erwarten schlecht laufen, können die beiden mit ihrer PR- und Kunstkritikfirma „Regarding Arts“ zumindest ihre Frühstücksbrötchen kaufen.

Angst vor dem großen Konkurrenzdruck? „Wir wollen es ja besser machen als die anderen“, sagt Müller. Und falls sie doch untergehen, haben sie vorher wenigsten noch Marc Brandenburg, Heinz-Peter-Knees und Dorothy Iannone ausgestellt.

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt auch Alexander Duve. Der 35-Jährige trägt Sakko, seine Geschäftspartnerin Birthe Kleemann Kapuzenpulli. Die beiden haben sich ihren 100-Quadratmeter-Traum gegönnt: Galerie „duvekleemann“, Invalidenstraße. Kleemann hat sechs Jahre als Assistentin bei Eigen & Art gearbeitet, Duve in einer Werbeagentur. Der Grund, es als Junggaleristen zu versuchen, war auch für sie einfach: „Wir wollten die Kunst ausstellen, die wir gut finden“, sagt Kleemann. Jetzt peilen sie ein Programm an, dass „cool und ruppig“ ist.

Einen Bankkredit haben sie dafür aufgenommen. „Mit dem können wir die Galerie die ersten eineinhalb Jahre am Laufen halten“, sagt Duve. Die 1.500 Euro Miete sind abgedeckt. Zudem zahlt das Arbeitsamt einen Gründungszuschuss, das reicht zum Leben. „Natürlich wollen wir verkaufen“, sagt Kleemann. „Aber wir müssen nicht unbedingt das zeigen, was sicher Geld bringt. Wir können auch mal experimentieren.“

Ein Experiment ist auch die Eröffnungsausstellung: Modefotograf Ali Kepenek hat seinen WG-Kumpel Theo abgelichtet. Theo verkatert, Theo mit verschmiertem Lippenstift, Theos dreckiges Geschirr. Ziemlich intim. „Wer kauft, kauft auch ein Stück von Theo mit“, sagt Kleemann. Ab 900 Euro. Duve schaut sich in der halb aufgebauten Ausstellung um und bekennt, dass er jetzt doch ein bisschen Herzklopfen hat. „Aber ein gutes Herzklopfen.“

Über dieses Stadium ist Sandra Frimmel hinaus. Den Projektraum „Art Laboratory Berlin“ in der Prinzenallee, den die Kunsthistorikerin zusammen mit drei Mitstreitern betreibt, gibt es schon seit Februar. Gerade wird die iranische Künstlerin Farkhondeh Shahroudi gezeigt. Die Bedingungen sind recht entspannt: Der Projektraum verkauft keine Kunst. Zum Betrieb schießen die vier Beteiligen privates Geld dazu, dass sie anderswo verdienen. Die Miete ist nicht sehr hoch. Die Wohnungsbaugesellschaft überlässt die Räume für den Preis der Nebenkosten. Sie will den Wedding durch solche Ausstellungsprojekte aufwerten.

„Der Projektraum ist Plattform, mit der wir uns als Kuratoren präsentieren und wachsen können“, sagt Frimmel. Vielleicht trifft dieser Satz den Kern des Problems: Es gibt viele spannende Künstler. Und es gibt viele Vermittler, die leidenschaftlich für die Kunst brennen. Was es zu wenig gibt, ist Platz in den gängigen Institutionen, um diese Pluralität abzubilden. Also werden neue Räume geschaffen. Auch wenn das Herz dabei klopft.

Bis 5. Novermber, Ali Kepenek, „Theo – Leipziger Str. – Berlin“, Galerie duvekleemann, Invalidenstr. 90; bis 24. November, Kerstin Drechsel, „Mittelerde“, Galerie September, Charlottenstr. 1; bis 28. November, Christian de Lutz, „Ekphrasis“, Art Laboratory Berlin, Prinzenallee 34