die taz vor sechzehn jahren über den tod des naziverbrechers klaus barbie
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Klaus Barbie, der 1987 vom Schwurgericht des Départements Rhône zu lebenslanger Haft verurteilte ehemalige Gestapochef von Lyon, war in zeitgeschichtlichem Sinn schon tot, als er nun im Gefängnis einer Krebserkrankung erlag. Vergeblich hatte sein Verteidiger Jacques Vergès versucht, ihn ausgerechnet mit Hilfe dieser Krankheit noch einmal zu öffentlichem Leben zu erwecken: Um der puren Provokation willen appellierte er an den prominenten Krebsspezialisten Léon Schwarzenberg, die Behandlung Barbies zu übernehmen, wobei es ihm nicht um den Mediziner, sondern um den Juden Schwarzenberg ging. Das potentielle Opfer und der Naziverbrecher, vereint und versöhnt im Zeichen des Krankheitsnotstands – ein Leckerbissen für die gefräßigen Medien, den Schwarzenberg mit seiner Ablehnung aber vom Tisch fegte.

Das Gericht hatte den Prozeß gegen Barbie als eine historisch-pädagogische Lektion verstanden, um der schleichenden Bagatellisierung der NS-Zeit entgegenzuwirken und jede nostalgischen Verklärung des Nationalsozialismus aus den Köpfen derer zu vertreiben, die sich von der Front National angezogen fühlten. Der in Lyon eingesperrte Ex-Gestapochef Barbie sollte der Lektion zu dauerhafter Wirkung verhelfen – durch sein Überleben als Bestrafter. Doch er war es, der die Lektion überlebt hat und damit den politischen Sinn seines Überlebens als Bestrafter. Schon ein Jahr nach seiner Verurteilung fanden 15 Prozent Franzosen nichts mehr dabei, Le Pen zu wählen, der die Gaskammern eine „Detailfrage der Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ genannt hatte. Barbie war wegen Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt worden. Keine der Strafanzeige gegen führende Beamte des Vichy-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschheit stellte hat bisher zu einem Prozeß geführt. Paul Touvier, Ex-Chef der mit der Lyoner Gestapo kollaborierenden „Miliz“, befindet sich auf freiem Fuß.

Lothar Baier, taz 27. 9. 1991