Barmbek goes Hollywood

Eine junge Frau steht vor der Tür: „Hallo, wir sind von Barmbek-TV und würden gern die Leute kennenlernen, die hier wohnen – hätten sie vielleicht etwas Zeit für uns?“ Das Puschelmikrofon und das freundliche Lächeln scheinen Vertrauen zu schaffen. Erstaunlich viele Menschen lassen die Regisseurin Maria Magdalena Ludlwig samt Kameramann ihre Wohnung, ein Stück ihres Privatlebens betreten. Eine türkische Mutter will nicht vor die Kamera, die Töchter aber schon: Sie haben von dem neuen Internet-Fernsehen gehört und lassen sich gerne interviewen: „Was bedeutet das für dich, Türkin zu sein? Hast du das Gefühl, als Türkin benachteiligt zu sein? Hast du einen Traum, hast du Angst vor der Zukunft?“

Barmbek-TV macht Hausbesuche, geklingelt wird auf gut Glück oder wenn der Name auf dem Schild exotisch klingt. Jede Wohnung, meint Ludlwig, ist wie eine Bühne, jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Ludlwig ist unterwegs im Auftrag vom Hamburger Theater Kampnagel, dessen neue Indendantin Amelie Deuflhard nicht nur die Leute ins Theater, sondern auch das Theater zu den Leuten bringen will: „Besetzt“ nennt sich das Konzept, das von der Graphiker-Gruppe anschlaege.de entworfen wurde.

Barmbek scheint auf den ersten Blick ein recht farbloser Hamburger Stadtteil: weder reich noch arm, weder schön noch hässlich. Nicht mal besonders problembelastet. Das Besondere aus dieser scheinbaren Normalität herauszukitzeln ist Anliegen von Barmbek-TV. Die Gespräche werden mit verschiedenen Leuten und Gruppen, mal geplant, mal spontan geführt. Clips daraus werden auf www.barmbek.tv veröffentlicht.

Ein Aufhänger, erzählt Axel Watzke, Gründer von anschlaege.de, sei der KPD-Aufstand von 1923 gewesen, in dem die Barmbeker Kommunisten am längsten die Stellung hielten. „Wem gehört die Stadt?“ ist eine der Kernfragen des Projekts.

Die Leute von Barmbek-TV sind auch in Schulen gegangen um über dieses Thema zu sprechen. Watzke war überrascht, dass manche mit dem Begriff Kommunismus kaum mehr etwas anzufangen wissen. Trotzdem scheint ein Funke übergesprungen: die Unterrichtsbesuche wuchsen zu einer Art kunstdidaktischem Projekt heran, in dem die Jugendlichen angeregt wurden, sich performativ mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen. Eine Gruppe möchte jetzt mit einer Schubkarre voll nachgemachtem Inflationsgeld bei Aldi einen Laib Brot einkaufen, andere wollten gar zu Performance-Zwecken eine Bomben-Atrappe basteln: „Malt sie lieber auf“, bat Ludlwig – die Geister, die sie rief, drohten über die Strenge zu schlagen. Die Kamera von Barmbek-TV wird bei den Aktionen der neuen Spaß-Guerilla dabei sein.

Das Projekt mündet heute Abend, zu Kampnagels Spielzeiteröffnung, in einer Vorführung ausgewählten Materials auf Großleinwand. Man hofft auf viele Gäste, die als Interview-Partner am Projekt beteiligt waren: Community-Building, Gemeindeaufbau ist auch ein Anliegen von Barmbek-TV. Die Internet-Seite, einmal eingerichtet, wird für die Barmbeker als Forum bestehen bleiben.

Auch die Gruppe anschlaege.de wird ein Büro bei Kampnagel haben und das Marketing weiterhin mitgestalten. Der frische Berliner Wind wird also auch künftig durch Hamburg-Barmbek pfeifen. LEU

Heute nebst weiterem Programm: 19 Uhr, Kampnagel, Jarrestr. 20