Die Geriatrie tanzt

Vier Mandolinen und kein Bügelbrett: Das Tanzkapellen-Erbe Kapaikos bringt mit „Teerwalzer“ die erste richtige Platte heraus und versöhnt Generationen und ihre Musik

Wie bitte, ein Mandolinenorchester? Also die aufgeblasene Version einer schmierigen italienischen Restaurantkapelle? Oder, auch furchtbar, ein Ensemble osteuropäischer Mitbürger, das bevorzugt auf Tanztees oder ungefragt in Straßenbahnen, na ja, musiziert? Ja, richtig. Beides. Und noch viel mehr, nämlich auch Krach, Berliner Subkultur, White Trash, Punk, pervertierte Russendisko, ein Mandolinenmassaker eben. Kapaikos genannt. Sieben Freaks, teilweise aus Bremen und Hamburg in die Hauptstadt eingewandert, teilweise mit Familie, aber immer noch mit der gesunden Zuneigung zum ungesunden Leben. Alkohol, Lärm, Zigaretten, Schweiß, andere Substanzen, Geschrei.

Kann man das gut finden? Man kann. Auf Konzerten funktioniert das siebenköpfige Kollektiv schon seit einigen Jahren prima, und es ist egal, in welchen Zusammenhang es gesteckt wird. Ob beim Tanztee im Altenheim oder auf der schicken Galerieeröffnung, bei der Wiedereröffnungsfeier des besagten White Trash oder irgendeiner Punkveranstaltung. Kapaikos kriegt sie meist alle. Sicher, viel Humor und Alkohol können hilfreich sein, um der Reizüberflutung Herr oder Frau zu werden. Geboten werden schließlich vier elektrisch verstärkte Mandolinen, ein auf einer Trommel sitzender Mann (das „Cajon“ ist ein südamerikanisches Perkussionsinstrument), ein Bass und eine Spielzeugorgel.

Sieben Herren also in schrabbeligen Anzügen mit urigen Instrumenten, die schaurig-laute Versionen alter Musiken spielen. Das klingt irgendwie nach Kaurismäki? Stimmt, die Herren sehen ein bisschen so aus. Thorsten Schwarz, der an der Casio-Orgel, trägt zum Beispiel einen langen Schnäuzer. Fast alle sind dem Alkohol nicht abgeneigt und kultivieren den irren Blick. Lustige Charaktere aus unterschiedlichen Abgründen, scheint es, dabei haben drei von ihnen schon Familie. Alle arbeiten neben Kapaikos noch irgendwas anderes, und nicht immer hat dieses Andere mit Musik zu tun. Der Mann auf der Trommel, Oliver Kless, echter Berliner, arbeitet zum Beispiel als Cutter und Videotechniker.

Was sich bei Kapaikos live mitunter brachial und ausschweifend anhört, kommt auf Platte ausgefeilter, überlegter, stimmiger daher. Auf ihrer ersten echten Veröffentlichung „Teerwalzer“ (vorher gab es das nur digital erhältliche „Bei Kohle hört die Freundschaft auf“ und die Zusammenarbeit mit Cobra Killer „Das Mandolinenorchester“ von 2005), jetzt mit Promoagentur und ordentlichem Vertrieb ausgestattet, herrschen Abwechslung und die Arbeit an der Neudefinition. Auch andere Spielarten klassisch-volkstümlichen Liedguts, die Polka, der Sirtaki, die Humpta-Nummer usw., werden ins Laute und auf den Punk gebracht. Der „Teerwalzer“, Eröffnungs- und Titelnummer, ist der denkbar dreckigste Walzer. Und trotzdem tanzt die Geriatrie.

In „Gauck“ und anderen Stücken formen Kapaikos auch modernere Versionen der Instrumentalmusik um, ziehen sie auf links. „Gauck“ könnte man Triphop nennen (da flirrt auch ein Theremin durch den Raum). „Flubbel“ ist Surf. „PolePig“ Kriminalfilmmusik aus den Siebzigern. Nur eben alles mit Mandolinen. Als Einflüsse geben die Mandolinisten um Boris Jöns und Ole Wulfers auch Slayer an. Nicht nur, weil Teile von Kapaikos bei Hanns Martin Slayer spielen. Tatsächlich lassen sich auf „Teerwalzer“ das eine oder andere Schwerrockriff und ein paar gute Breaks nicht überhören. Probleme mit Abstimmung und Organisation gibt es wohl auch – kein Wunder bei sieben Leuten. Trotzdem scheinen Kapaikos alles gut unter einen Hut zu bringen. Man ist da flexibel. Eigentlich ist die Band nämlich auch zu acht, der fünfte Mandolinenspieler ist aber gerade für ein Jahr ins Ausland gezogen.

Die Ursprungsgeschichte von Kapaikos stimmt übrigens wirklich. Ole Wulfers’ Großmutter führte ein Mandolinenorchester, das sich durch natürliche Todesfälle leidlich dezimierte. Ein Auftritt in einer Hamburger Galerie drohte auszufallen. Kurzerhand trommelte Wulfers ein paar Freunde zusammen und übernahm das Orchester. Dann wurden ein paar Standards eingeübt, ein neuer Name gefunden – der dem Nordischen entlehnt ist und in etwa „Dorfverrückte“ bedeutet. Im Folgenden besann man sich darauf, den Vorlieben zu gehorchen und Einflüsse zuzulassen. Die Stücke sind selbst verfasst, auch wenn das mit dem demokratischen System in der Band nicht immer einfach sein soll. Dafür ist es der Band nicht nur gelungen, weit voneinander entfernt scheinende Generationen zu versöhnen, sondern auch historisch strittige und verplüschte Musiken durch raue und ironische Umsetzung ins nächste Jahrhundert zu retten. Ja, wirklich. RENÉ HAMANN

Kapaikos: „Teerwalzer“ (Kapaik OS/Rough Trade). Live: 1. 10., Torstraße 111. Am 6. 10.: Crystal Ball Gallery