„Da hat der Finanzsenator danebengegriffen“

Die Sozialsenatorin über die Aussage von Thilo Sarrazin, Arbeitslose mit Ehrenamt sollten sich besser einen Job suchen

Im Senat ist es zurzeit eine Art Sport, Bezieher des Arbeitslosengeldes II zu beschimpfen. So sagte der Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus: Wer als Hartz-IV-Empfänger Kraft für ein Ehrenamt habe, solle sie besser darauf verwenden, Arbeit zu finden. Erst kürzlich hatte sich der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), gegen eine Erhöhung des ALG II ausgesprochen. Seine Begründung: Es nütze nichts, solchen Familien die staatliche Unterstützung zu erhöhen, die nicht mit Geld umgehen könnten, sondern es in teure Handys steckten. ALL

taz: Frau Knake-Werner, sollen Arbeitslose in Zukunft nicht mehr ehrenamtlich tätig sein?

Heidi Knake-Werner: Nein, das ist Unsinn. Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass sich Arbeitslose ehrenamtlich engagieren. Das ist für viele die einzige Chance, eine sinnvolle Aufgabe zu haben und sich einzubringen.

Ihr Kollege Thilo Sarrazin sieht das offenbar anders. Im Abgeordnetenhaus verkündete er, wer als Arbeitsloser Kraft für ein Ehrenamt habe, solle sie lieber darauf verwenden, einen Job zu suchen.

Da hat er völlig danebengegriffen. Ich bin der Meinung, dass ohne eine entwickelte Bürgergesellschaft vieles in Berlin so nicht stattfinden würde. Deswegen fördert der Senat auch das Ehrenamt. Wir vergeben zum Beispiel den Freiwilligenpass als Anerkennung für bürgerschaftliches Engagement. Er ist ein Beleg dafür, dass man mit anderen gemeinsam etwas bewegt hat. Für Menschen auf Jobsuche ist das durchaus auch ein Zertifikat.

Ist Sarrazin über die Haltung des Senats nicht informiert?

Selbstverständlich kennt Herr Sarrazin unsere Haltung. Aber er sagt ja öfter mal Dinge, die nur er selbst so vertritt.

Zynisch ist seine Aussage vor allem deswegen, weil es für alle einfach nicht genug Arbeit gibt.

Das ist genau das Problem. Viele bemühen sich redlich und finden trotzdem keinen Arbeitsplatz. Wir haben eben immer noch 14,9 Prozent Arbeitslose im Land. Und wir wissen genau, dass der gegenwärtige wirtschaftliche Aufschwung an den Langzeitarbeitslosen vorbeigeht. Für all diese Menschen sind ehrenamtliche Tätigkeiten unverzichtbar.

Warum?

Weil es für das Selbstwertgefühl viel besser ist, wenn man nicht isoliert lebt, sondern gebraucht wird. Arbeitslose erhalten auf diesem Weg zudem Fähigkeiten zurück, die sie möglicherweise verloren haben. Sie gehen Verpflichtungen ein und übernehmen Verantwortung für andere. Das ist dann auch wieder wichtig für einen bezahlten Job.

Was tun Sie, um den Arbeitslosen zu helfen?

HEIDI KNAKE-WERNER (Linke), 64, ist im Senat zuständig für die Bereiche Integration, Arbeit und Soziales.

Es ist kein Geheimnis, dass Hartz IV Armutsrisiken birgt. Ich sage seit Jahren, dass man über die Erhöhung der Regelsätze nachdenken muss. Das will ich auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November anregen. Ich finde, es steht Berlin gut an, diese Diskussion zu befördern.

Da werden Sie sich erst mit Ihrem Chef auseinandersetzen müssen. Wowereit hat sich gegen eine Erhöhung ausgesprochen, weil viele Familien nicht mit Geld umgehen könnten.

Er sagt, dass man zum Beispiel besser Familienhelfer einsetzen sollte, als mehr Geld zu geben. Ich denke, man muss das eine tun und darf das andere nicht lassen. Ich bin überzeugt davon, dass gerade die Sätze für Kinder nicht angemessen sind. Sie berücksichtigen in keiner Weise die unterschiedlichen Bedürfnisse in den Entwicklungsstufen. Hier muss man unbedingt etwas tun.

INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF