Hanseatischer Herzschmerz

NIEDERGANG Auch der neu verpflichtete Ivica Olic kann nicht verhindern, dass der Hamburger SV zu Hause gegen den 1. FC Köln mit 0:2 verliert. „Ich bin trotzdem froh, hier zu sein“, sagt der Kroate

Erst übernahmen die Kölner Fans das Kommando, dann die Mannschaft

AUS HAMBURG JAN KAHLKE

Ivica Olic sieht man seine 35 Jahre nicht an, allenfalls um die Augen herum. Da hat er viele feine Fältchen, vor allem, wenn er verschmitzt lächelt. Und das tut er auch nach der 0:2-Heimniederlage, die er mit dem HSV gerade gegen den 1. FC Köln hat einstecken müssen. Hat er also einen Fehler gemacht, als er zwei Tage vorher vom VfL Wolfsburg zum Hamburger Sportverein wechselte, auf den Tag genau acht Jahre nachdem er zum ersten Mal in Hamburg anheuerte? Immerhin haben seine Wolfsburger Kollegen gerade den FC Bayern aus dem Stadion gefegt. Und er ist mitten im Abstiegskampf angekommen.

Doch Ivica Olic lässt keinen Zweifel an seiner Entscheidung zu. „Ich bin trotzdem froh, hier zu sein“, sagt er mit fester Stimme. Vor dem Spiel habe er Tränen in den Augen gehabt. Und es klingt ehrlich, was Olic sagt. So ehrlich wie bei seinem Abschied vor sechs Jahren, als er sagte, er würde gern wiederkommen. Und wie vor ein paar Tagen, als er sagte, er wolle nun aber unbedingt nach Hamburg zurück. Eine Familienentscheidung – seine beiden Söhne sind mit dem HSV-Trikot aufgewachsen und seine Frau hat darauf gedrängt, in die Stadt zurückzukehren, in der die Familie sich zu Hause fühlt. Dafür verzichtet Olic auf viel Geld, denn mit den in Wolfsburg üblichen Gehältern kann der HSV bei weitem nicht mitbieten. Olic ist einer der wenigen Fußballer, dem trotz neun Profi-Stationen niemand vorwerfen würde, ein Fußball-Söldner zu sein. Weil er sich nirgends anbiedert – und immer alles gibt.

Deshalb hat HSV-Boss Dietmar Beiersdorfer, selbst ein HSV-Rückkehrer, Olic zurückgeholt. Weil er ihn aus gemeinsamen Zeiten kannte als einen, der sich 90 Minuten lang die Lunge aus dem Leib rennt. Manche vergleichen ihn mit einer Maschine, weil er keine Ermüdungserscheinungen zu kennen scheint, aber das ist das Falscheste, was man sagen kann. Denn was Olic antreibt, ist sein Herz, ein Kämpferherz, aber vor allem eins, das für den Verein, die Fans und die Stadt schlägt. Er ist auf eine ansteckende Weise emotional.

Solche Typen hatte die Mannschaft zuletzt zu wenige. Und darum holt der klamme HSV einen 35-Jährigen und zahlt auch noch 1,5 Millionen Euro Ablösesumme. Zuletzt sah es schon fast verzweifelt aus, was der HSV machte: Innerhalb eines Jahres drei Trainer gefeuert, seit dem vergangenen Sommer fünf neue Spieler geholt, von denen bislang – auch aufgrund von Verletzungen – keiner restlos überzeugte. Die 18,5 Millionen Euro, die der meinungsstarke Unternehmer Klaus-Michael Kühne nach zähem Ringen schließlich doch in die neu gegründete HSV-Aktiengesellschaft investierte, sind längst ausgegeben.

Und der Ertrag? Der HSV steckt weiterhin mitten im Abstiegskampf, nur einen Punkt vor dem Tabellenletzten Borussia Dortmund. Gerade neun Tore haben die Hamburger erzielt, eins mehr, als der schlechteste Bundesliga-Absteiger aller Zeiten, Tasmania Berlin, zum selben Saisonzeitpunkt auf dem Konto hatte.

Gegen den 1. FC Köln sah es fast eine halbe Stunde lang so aus, als könne Olic der HSV-Offensive neues Leben einhauchen. Vom Anpfiff weg wirbelte der Kroate wie in alten Zeiten, riss Löcher, flankte und schoss aus allen Lagen. Dann ging beim HSV die Ordnung verloren, statt Spieleröffnung gab es immer öfter Befreiungsschläge und Fehlpässe.

Wie tief die Probleme beim HSV liegen, wurde deutlich, als nach der Pause zuerst die Kölner Fans das Kommando im Volkspark übernahmen, ehe ihre Mannschaft folgte. Beim HSV sind viele der Stimmungsmacher gar nicht mehr im Stadion, aus Protest gegen die Ausgliederung der Profiabteilung. Die verbliebenen Anhänger nahmen die beiden fast identischen Kontertore von Marcel Risse (62./78. Minute) schicksalsergeben hin.

Die meisten von ihnen waren längst auf dem Heimweg, als Ivica Olic auch nach 90 Minuten noch die Kölner Verteidiger an deren Strafraum attackierte. Doch allein wird der Heimkehrer den HSV nicht retten können, so viel ist sicher, auch nach „einer halben Trainingseinheit“, wie HSV-Trainer Joe Zinnbauer sagte. Deshalb kauft der Club weiter ein: Am Sonntagnachmittag verdichteten sich die Anzeichen, dass der chilenische Nationalspieler Marcelo Diaz vom FC Basel kommt, um das defensive Mittelfeld zu verstärken.