ausgehen und rumstehen
: Der Blick darf nicht verweilen und man selbst auch nicht

Am Wochenende war Art Forum, der Kunstszene-Sozialterror beherrschte die Stadt. Ein Bericht von drei Messen und zwei Partys

Es war die Stille vor dem Sturm, als der Chefkurator des Hamburger Bahnhofs am Donnerstagmorgen der versammelten Presse mit sanfter Stimme die Ausstellung des Schweizer Künstlers Roman Signer ans Herz zu legen suchte. Für einen kurzen, letzten Moment vergaßen wir die Angst, die uns Kunstfans alljährlich zur Zeit des Art Forums befällt: etwas zu verpassen, nicht auf der richtigen Eröffnungsparty aufzuschlagen, die kostbare Zeit beim mühseligen Pendeln zwischen Mitte, Kreuzberg und Charlottenburg zu vertrödeln. Möge der Markt da draußen toben – das Museum für Gegenwart bleibt ein ruhiger, beschaulicher Ort.

Bald danach rasen wir unter dem Gerhard-Richter-grauen Himmel zu einem alten Hangar am bald stillgelegten Flughafen Tempelhof. Die Räume der „Preview“ – eine der drei parallel zum Art-Forum laufenden Indie-Kunstmessen – haben einigen Charme. Statt meditativer Musealität breitete sich schon am Nachmittag eine stetig zunehmende Geschäftigkeit aus. „Ahh, Berlin!“ denkt man unwillkürlich beim Betreten der Halle: Industrie! Militär! Geschichte! Grobschlächtige Betonpfeiler, kathedralisch hohe Decken und sich in den Raum fressende Röhren bieten genau die Art von Zwischennutzung, die das Geschäft mit der Berliner Nachwuchskunst belebt. Über dem Catering-Bereich schwebt auch noch ein Rosinenbomber-Modell. Natürlich, zu Zeiten der Luftbrücke lief die Versorgung des abgeriegelten Westberlins über diesen Airport. Fünfzig Jahre später wird nun wieder mal auf die Amerikaner gehofft. Auf die Sammler, nicht die Piloten. An der Messe-Bar gibt es Disco-Tee zu trinken, der sei, so wird vom Personal versichert, sehr deep. Deep ist jedoch vor allem das subakustische Brummen, dessen Quelle wir schließlich im hinteren Teil der Messe aufspüren. Es handelt sich um die Tonspur der Videoarbeit der kasachischen Künstlerin Almagul Menlibayeva, die der in Berlin ansässige italienische Galerist Davide Gallo am Stand präsentiert. Vor der dramatischen Kulisse einer geplatzten brennenden Ölpipeline in der eurasischen Steppe rollen drei nackte langhaarige Menschen Tierschädel vor sich her und beschwören mit schamanischen Tänzen das Ende der Katastrophe. Wir sind fasziniert, doch müssen schnell weiter.

Ab nach Wedding, wo in einer verlassenen BVG-Busgaragen-Werkstatt mit dem Kunstsalon auch schon die zweite Satellitenmesse des Tages die Pforten öffnet. Die volksfestartige Stimmung dort erinnert weniger an eine kommerzielle Veranstaltung als an einen Tag der offenen Tür. Keine Schwellenangst zu spüren. Am Stand der „Anonymen Zeichner“ tauschen wir die ersten Tipps mit einem Bekannten, der uns sofort die dramatische Tatort-Büro-Installation der Berlin/Londoner Künstlergruppe Artists Anonymous empfiehlt. Aber eigentlich finden wir das bei „A trans Pavilion“ ausgestellte dystopische Stadt-Modell „Berliner Lustgarten 2057“ von J. Michael Birn interessanter: Das wiederaufgebaute Schloss ist eine Art Militärlazarett mit Flak auf dem Dach und der Fernsehturm von Dutzenden Wolkenkratzern umstellt.

Inmitten des aufgekratzten Gewühles auf dem grauen Rosshaar-Teppich des Art Forums beherrschen wir am nächsten Tag den Messeslang dann schon perfekt: Ja ja, die vielen Skulpturen vom letzten Jahr sind verschwunden und überhaupt alles hier ziemlich brav und vorhersehbar! Ganz anders als bei der stark frequentierten Feier in der weitläufigen, überaus barocken Charlottenburger Loftetage eines Sammlerpaares, durch die die Anwesenden in perplexer Stille mit einem Glas Champagner rosé wandeln. Zuletzt landen wir im Crackers, Cookies’ neuen Club. In der Mitte des überfüllten Raumes geht es weder vor noch zurück. Der über die Tage antrainierte Blick, der nicht verweilen darf, bleibt nun haften auf der bildlosen Wand der Garagendisco. Ekstatisch kollabieren wir im Moment der Stagnation.

TIMO FELDHAUS, KITO NEDO