Schöner verlieren

Bayer Leverkusen freut sich über eine Niederlage. An einen Sieg über die sich als Wundertruppe stilisierenden Bayern hatte man eh nicht gedacht

AUS LEVERKUSEN DANIEL THEWELEIT

Es ist ziemlich erstaunlich, welch seltsame Blüten diese Bundesliga mit ihren über aller Konkurrenz thronenden Bayern so treibt. Vermutlich gab es noch nie einen Tabellenzweiten wie Bayer Leverkusen, der den Ersten im heimischen Stadion empfängt, der die Partie äußerst knapp und etwas unglücklich mit 0:1 verliert, den Nachmittag am Ende aber trotzdem als rundum gelungenes Fest betrachtet. Aber so ist das offenbar, seit es nicht mehr vielerorts zutiefst gehassten Ergebnisfußball spielende Dusel-Bayern sind, die an der Spitze stehen. Jetzt handelt es sich um dieses bezaubernde Kollektiv von Fußballkünstlern im Trikot des Münchner Edelklubs, da ist sogar das Verlieren schöner geworden.

„Stolz“ sei er auf seine Mannschaft, sagte Leverkusens Trainer Michael Skibbe nach null Toren und null Punkten, Stefan Kießling freute sich darüber, gesehen zu haben, „dass wir mithalten können“, und Sportdirektor Rudi Völler verkündete: „Wir haben einen tollen Fight geliefert, besonders in den ersten 35 Minuten haben die Zuschauer ein überragendes Spiel gesehen.“ All dies stimmt, aber wäre es einem Team, das internationale Ambitionen hegt, nicht angemessener, den Bayern zumindest einen Punkt abluchsen zu wollen?

„Man muss die ganze Woche sehen, und da stehen am Ende sechs Punkte“, antwortete Völler auf diese Frage. Sie wollten sich einfach nicht ärgern, denn offenbar ist Bayern München in der laufenden Saison ein Mythos, kein Gegner aus Fleisch und Blut. Haderte Leverkusen in früheren Jahren immer mit der Vergeblichkeit, die Münchner Schreckensherrschaft zu durchbrechen, sind die Ambitionen in Spielen gegen den Favoriten selbst bei hoch gehandelten Klubs wie Bayer derzeit bescheiden: Hauptsache nicht vorgeführt werden.

Natürlich haben sie eine blutjunge Mannschaft, die erst „2009 ganz vorne mitspielen soll“, wie Skibbe immer wieder betont. Niemand ist verwundert, dass Miroslav Klose vor dem Tor des Tages brillant für Luca Toni auflegte (40.), während Stefan Kießling in einer vergleichbaren Situation den freistehenden Theofanis Gekas übersah. In solch kleinen Momenten „zeigt sich der Unterschied“, meinte Skibbe. Dennoch waren die Bayern lange Zeit keineswegs jener unantastbare Riese, der sie in den Fantasien vieler Anhänger mittlerweile sind. „Wir standen in der ersten halben Stunde überhaupt nicht gut“, sagte Mark van Bommel, dieser kritische Geist.

Erst als Klose, dessen Knieverletzung vom zweiten Spieltag später wieder aufbrach, sich verstärkt ins Mittelfeld zurückfallen ließ, konnten die Bayern den starken Sergej Barbarez und seine wirbelnden Mittelfeldkollegen Rolfes, Vidal und Barnetta einigermaßen kontrollieren. Dass die Leverkusener da nicht längst führten, lag an fehlender Kaltblütigkeit im Abschluss. Stefan Kießling ackerte zwar, doch eine ganz große Möglichkeit blieb ihm verwehrt, und Gekas knüpfte an die durchwachsenen Leistungen der letzten Wochen an.

Aber auch Michael Rensing im Münchner Tor hatte erheblichen Anteil am Sieg. Erst Minuten vor der Partie erfuhr der 23-Jährige, dass er den am Ellenbogen verletzten Oliver Kahn zu ersetzen hatte, und wie es in München derzeit schnell passiert, wurde er hernach flugs in den Status der Weltklasse erhoben. „Ich muss immer lachen, wenn in Deutschland über die Nachfolge von Lehmann diskutiert wird“, erklärte Manager Hoeneß, „ich bin ziemlich sicher, dass Rensing der Nachfolger wird, und sonst keiner.“ Man muss dem Rest der Liga schließlich weiterhin Respekt einflößen.

So wie auch den Schiedsrichtern, und das gelang Hoeneß mit Hilfe einer fast schon unheimlichen Fügung. Vorige Woche erhob der Manager die Forderung nach einer Torkamera, nachdem klare Treffer von Schalke und Stuttgart nicht anerkannt worden waren. Das war sehr glaubwürdig, weil Hoeneß Tore anderer Teams zum Anlass nahm. Nun erzielte Klose einen glasklaren Treffer, doch der Schiedsrichterassistent erkannte trotz bester Sicht nicht, dass der Ball deutlich hinter der Line aufprallte. Durchweg alle Beteiligten formulierten daher ihre Hoffnung auf die baldige Einführung einer Technik, mit der sich die Frage Tor oder nicht Tor zweifelsfrei klären lässt. Die DFL nimmt sich des Themas an, auch wenn sie die Meisterschaft dadurch nicht mehr spannender machen wird.