Die Verbluntung des Pop

Pro und Contra: Der Winselpopper James Blunt hat ein neues Album veröffentlicht. Ist ihm der Erfolg zu gönnen?

Ja

Na klar! Der Commonsense unter uns Coolen ist doch klar: Einen wie den muss man mies finden – Tränen auf Bestellung, das muss verachtet werden. Andererseits: Wohl dem Mann, der sich auf so ’n Geheule versteht. Konnten sonst doch nur Frauen. Und er, gerade auf seiner neuen CD, kann es nun auch. Neulich, während einer Folge aus der Serie „Cold Case“, war sein Song „Cry“ zu hören: Wie hübsch das passte zu der monströs Mitgefühl weckenden Story, der Blunt’sche Schrei hat das besonders fett unterstrichen. In Hassblogs heißt es, er sähe wie eine schwedische Lesbe aus. Glatt gelogen: Joan Baez sah so aus oder Annie Lennox nun auf ihrem jüngsten Album (auf das wir noch gebührend zurückkommen werden). Blunt schmerzt, weil er wahrhaftig wimmert. Weil ihm alles Leben Material ist: Das verdient Respekt. Kein Mann ist so weiblich wie dieser Agitpropsänger der erwartbaren Gefühle.

Er sei schnulzig, heißt es gehässig – von Männern, die sich in Blunt wiedererkennen und akute Schamanfälle erleiden. Unnötig, das! Blunt kriegt uns mit Kieksern auf die Matratze. Kluge „He’s beautiful“-Masche! Ein Falsettspermatröpfchen im Geschlechtermiteinander. JAF

Nein

Im Video zu seinem bisher größten Erfolg singt er, seine Gefühle seien so verdammt „pure“, und dabei zieht er sich langsam aus, obwohl es schneit und schrecklich kalt sein muss, so kalt wie alle, die wir seine reine Liebe nicht erwidern wollen, nicht erwidern können, weil uns das Große Kotzen kommt bei so viel rotzfrecher Berechnung. Andere haben ihn erhört, den waidwunden Winselmeister, millionenfach, im Plattenladen, um die Schuld zu tilgen. Denn auch in seinen übrigen Videos wurde er entweder lebendig in der Wüste begraben, stolperte brennend durch den Wald oder litt anderweitig. Wo überall „You’re Beautiful“ auf Platz 1 gelandet ist? Überall, wie wohl auch sein neues Mitleidsmaschenmachwerk („All The Lost Souls“, schluchz!) schlechterdings überall Rekorde brechen wird – weil die Single schon so tut, als wäre der Sänger, wie seine Zielgruppe, „1973“ jung gewesen, obschon er damals nicht einmal geboren war. Gewiss, die Welt kennt größere Ungerechtigkeiten als den Erfolg eines emotionalen Falschmünzers. Aber braucht sie wirklich Musik für Leute, die mit Musik nichts anfangen können? Ach, schluchzen und winseln möchte man und darf es nicht … FRA