Ypsilanti verspricht „soziale Moderne“

Unter ihr soll die SPD-Politik wieder links werden, verkündet die Herausforderin des hessischen Ministerpräsidenten

WIESBADEN taz ■ „Die Zeit ist reif. Die Löwin ist erwacht. Und sie spürt die Morgenröte nach einer langen schwarzen Nacht.“ Die rockige Hymne der Crackers auf Partei- und Fraktionschefin Andrea Ypsilanti, 50, brachte am Wochenende die hessischen Genossinnen und Genossen in Wiesbaden schnell von den Stühlen auf die Beine. Der Parteitag tanzte.

Zuvor hatte schon die Sängerin der legendären Hessenrocker von den Rodgau Monotons die Landes-SPD per Videobotschaft aufgefordert, den Arsch hochzukriegen und zu kämpfen. Die Zeit sei reif für eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin – nach neun schwarzen Jahren mit Roland Koch in der Staatskanzlei.

Die Sozialdemokraten feierten drei Monate vor der Landtagswahl in Hessen ausgelassen sich selbst, berauscht auch von der zuvor demonstrierten neuen Einigkeit. Mit 309 gegen nur 9 Stimmen kürten die Delegierten Ypsilanti zur Listenführerin. Und ihr Konkurrent vom vergangenen Jahr, der frühere Fraktionschef Jürgen Walter, der für den zweiten Listenplatz kandidierte, bekam fast genauso viele Stimmen wie die „rote Löwin“.

Eitel Sonnenschein also bei den hessischen Genossen? Nicht ganz. Denn die jüngste Meinungsumfrage ergab für die SPD einen Stimmenanteil von nur 30 Prozent – und auch nur 9 Prozent für die Grünen.

Aber Ypsilanti „kann kämpfen“, versprach Ypsilanti. In ihrer Rede jedenfalls ging sie Koch, „diesen Don Quichotte der Union im Kampf gegen Windmühlenflügel und für die Atomkraft“, hart an und schonte auch die eigenen Parteifreunde in Berlin nicht. Sie wolle keine Reformen mehr, „vor denen die Menschen Angst haben“, sagte Ypsilanti. Das Wort „Reform“ müsse wieder ein positiver, ein zukunftsweisender Begriff werden und für bessere Lebensverhältnisse für alle stehen.

Doch dafür brauche es nicht nur einen Regierungswechsel, sondern auch einen Politikwechsel, sagte Ypsilanti. Und sie meinte damit auch die Führung der SPD im Bund.

Für ihren Wahlkampf in Hessen kreierte die SPD-Spitzenkandidatin in diesem Zusammenhang das Schlagwort von der „sozialen Moderne“. Der Reichtum des Landes müsse wieder „gerecht verteilt“ und „Wissen und Bildung für alle“ ermöglicht und garantiert werden. Sie wolle „eine soziale Moderne, die Gerechtigkeit als andauernde Aufgabe begreift“ – vom Mindestlohn bis zur Gleichstellung der Geschlechter. Und in ihrer „sozialen Moderne“ sollten die Ressourcen nicht vergeudet, sondern geschont werden, versprach die 50-jährige Soziologin.

Am Ende ihrer Rede wurde die bekennende linke Sozialdemokratin dann noch philosophisch. Ihre „soziale Moderne“, sagte sie, sei „der großen Tradition der europäischen Aufklärung verpflichtet“.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT