Pionierin der Moderne

AUSSTELLUNG Bremen ist im Edvard-Munch-Taumel: allüberall Werbegerummel für die große Schau in der Kunsthalle. Die Böttcherstraße zeigt Arbeiten seiner Kollegin

von Jens Fischer

Mit dabei sein beim Munch-Fieber wollen die Kunstsammlungen Böttcherstraße – und geben dem berühmten Maler eine Kollegin zur Seite, die er zwar kannte, deren Kunst aber kaum einer kennt. Das Konzept des Paula Modersohn-Becker Museums sei ja, erklärt Direktor Frank Laubkötter, „Frauen aus dem Schatten großer Männer zu holen und ins rechte Licht zu setzen“. Gleich vorweg: Das Licht in den Ausstellungsräumen ist exquisit gesetzt, bringt die schillernden Lichtreflexion der Gemälde zur Wirkung, lässt sie von innen leuchten, betont den Zauber der Bilder von Ottilia Pauline Christine Lasson, geboren 1860.

Als Oda Krohg wurde sie zur „princesse de la bohème“ gekürt, wurde sie zum Mythos der „Kristiania-Boheme“. Die Künstlergruppe formierte sich Ende des 19. Jahrhunderts in Norwegens Hauptstadt Kristiania, die erst seit 1924 Oslo heißt, und verwies mit antibürgerlichen Ideen, Lebensformen und Drogenexzessen auf ihre Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit. Für ihre wechselnden Sex-, Liebes- und Lebenspartner war Krohg eine Muse, für andere einfach nur Femme fatale. Oder wie das Fachblatt für den männlichen Blick, die Bild-Zeitung, schreibt: ein „Maler-Luder“. So wurde sie auch von Zeitgenossen wahrgenommen. Laubkötter verweist auf Munchs Radierung „Kristiana Boheme II“ (1895): Finsterminig vergrübelte Männer hocken am Kneipentisch, davor steht, die Hände in den Hüften, mit herausforderndem Blick: Oda Krohg. Im Blauen Museumssaal wird dieses Bild ergänzt durch Skizzen und Szenen des Bohemelebens und Porträts der beteiligten, vielfach der Krohg verfallenen Männer. Dass sich aus dem wilden Privatleben eine Pionierin der Moderne erhebe, soll die Ausstellung zeigen, hofft Borgmann.

Die Bilder sind nicht chronologisch, sondern thematisch gehängt: Aus dunklem Malhintergrund herausgearbeitete Porträts beispielsweise oder Landschaften im naturalistischen Stil ihres Lehrers und Gatten Christian Krohg. Oder Übungen in Impressionismus. Zum Beispiel ein Waldsee in Aufsicht: kein Horizont, sodass Wiesen, Schilf-, Wasser-, Himmelfarbflächen schon abstrakter Malerei ähneln. Auch lieblich könne man das nennen, meint Borgmann. Ebenso die Idyllenbilder versonnener Figuren am Fenster, vorm Kamin. Oder im Angesicht einer düster lockenden Melancholia-Landschaft. „Am Kristianiafjord (Japanische Laterne)“ heißt dieses Werk von 1886. Deutlich modern sind die flächig-fließende Gestaltung und pastose Bewegung des Baumblattwerks, das Betonen der Pinselstriche und Kratzspuren, ein Verschwimmen von Vorder- und Hintergrund, die vielschichtigen Sehnsuchtsblautöne. Statt in detailverliebtem Realismus ergeht sich Krohg im Atmosphärischen, nicht Abbild der äußeren Erscheinung sucht sie, sondern Ausdruck des Seelenlebens. „Dieses Werk ist Vorbild für die norwegische Abendstimmungsmalerei und Vorläufer des Symbolismus“, sagt Borgmann. Dekorativ wirkt es auch in seiner Übersteigerung eines dunkel diffusen Gefühls, das bis an die Grenze der Sentimentalität getrieben wird. Gerade wenn man es mit ähnlichen Sujets von Paula Modersohn-Becker vergleicht. Eine sensationelle Entdeckung ist Krohgs Kunst nicht. Als Ausprobiererin des Etablierten bereitet sie dem ästhetischen Empfinden aber reichlich Vergnügen. Als Vorausprobiererin des 20. Jahrhunderts offeriert sie große Reize für Kunsthistoriker-Detektive: eine sehenswerte Ergänzung zum Munch-Getrubel.

■ bis 26. 2. 2012