PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Triumph des Kaugummis

Adornos Mutter will, dass Adorno Klassensprecher wird. Dafür soll er zur Bestechung greifen.

Nein, ich will nicht Klassensprecher werden“, murrt Adorno. Er ist im Grunde auch nicht der Typ dafür, aber darum geht es nicht. „Papperlapapp, du wirst jetzt Klassensprecher“, entscheidet die Macht. Die Mutter denkt, dass es Adornos Chancen bei den Bewerbungen für die weiterführenden Schulen erhöht, wenn das im Zeugnis steht.

Ich würde dagegen gern entspannt sagen, dass ich Bildungspanik für übertrieben halte und aus dem Jungen auch so was wird – angesichts der demografischen Lage und weil er ja nicht ganz blöd ist. Aber sicher bin ich mir nicht, deshalb halt ich den Mund und bin froh, dass die Macht ihre Sorge, womöglich keine gute Mutter zu sein, in Aktion umwandelt. Adorno allerdings dankt es ihr nicht. Stattdessen erst mal Geschrei, Türenknallen, das ganze Programm. Doch zwei Wochen später steht dann der Wahlkampf.

Zwei Klassensprecher gibt es. Ein Mädchen, ein Junge. Grundsätzlich ist es richtig, dass die Posten quotiert sind, aber in diesem Fall trifft es sich ungeschickt, denn am besten wäre es – im Sinne der Gemeinschaft gesprochen –, wenn Adorno und sein Freund Max das übernehmen würden. Nun müssen sie vermutlich gegeneinander antreten, wegen Minki, Max’ Vater. Was soll man von dem auch anderes erwarten?

Minki ist unser Nachbar und Freund, aber in zwei Dingen völlig verspannt: Erstens, was die Energiewende angeht. Er hat auf der letzten Hausversammlung auf seine heimtückische Art die energetische Sanierung unseres Gebäudes verhindert, die Sau. Zweitens, was seine Brut betrifft: Minki würde alles tun, um seinen Sohn nächstes Jahr in die beste Schule zu kriegen. Übrigens ein wirklich tolles Kind. Aber doch nicht besser als unseres.

Die Frage ist nur, ob das die Mitschüler auch so sehen. Die Macht grübelt zwei Nächte, dann hat sie es: Adorno soll vor der Wahl zu jedem in der Klasse gehen, sagen, dass er sich – je nach Elternhaus – für mehr oder weniger Hausaufgaben einsetzen wird und dann dem potenziellen Wähler einen Kaugummi in die Hand drücken.

„Ich geb diesen Schwachmaten doch keine Kaugummis“, sagt Adorno. „Außerdem hab ich gar keine.“ Da hat er aber schon 23 in der Hand und dazu den Tipp, die Schwachmaten niemals Schwachmaten zu nennen, sondern Mitschülerinnen und Mitschüler. Nachdem das klar ist, kann man nur hoffen, dass er sich die Kaugummis nicht alle selbst in den Mund schiebt.

Paar Tage später: „Und?“, japst die Macht. „Stellvertreter“, sagt Adorno. „Wie viel Stimmen?“ – „Fünf.“ „Wer hat gewonnen?“ – „Max.“ „Wie viel Stimmen?“ – „Vierzehn“. Oh. „Und die Kaugummis?“ – „Hab ich verteilt.“

„Trotzdem nur fünf Stimmen?“ Na ja, brummt Adorno, Max habe jedem ein ganzes Kaugummipäckchen überreicht.

Diese dilettantische Macht. Ein einziger Kaugummi? Damit konnten die amerikanischen Soldaten in den Fünfzigern unsere Eltern beeindrucken. Bei der Konsumbrut heute reicht das doch nicht. Und dieser neureiche Minki! Dass der immer so übertreibt.

Aber das Schlimmste überhaupt: Mir schwant, dass der verdammte Minki durch die Aktion im Ansehen der Macht noch gestiegen ist.

Der Autor ist taz-Chefreporter

Foto: Anja Weber