Bücher für die Lesenden

LESEN Unter dem Motto „Eine Stadt. Ein Buch“ werden gratis 100.000 Exemplare von Vargas Llosas „Geschichtenerzähler“ verteilt

In Büchereien, Apotheken, Hotels und Buchhandlungen liegen die Bücher aus. Gratis darf sich jeder eines davon mitnehmen

Marketing ist ein böses Wort, es riecht nach Manipulation und Marktmacht. Deswegen mutet es fast paradox an, es mit einer so guten Sache wie Lesen zu verknüpfen. „Lesemarketing“ gibt es wirklich. Und es hat mit der Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“, die am heutigen Montag beginnt, Einzug in Berlin gefunden.

Worum es geht, ist schnell erklärt: 100.000 Exemplare des Werks „Der Geschichtenerzähler“ von Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa werden in der Stadt verteilt. In öffentlichen Büchereien, Apotheken, Hotels und Buchhandlungen liegen sie aus. Gratis darf sich eines davon mitnehmen, wer rechtzeitig an einem der Verteilorte ist. Das hört sich schon weniger böse an, und nennt man es „Leseförderung“, dann klingt es noch viel besser.

Die Aktion kommt aus Wien, wo das Echo Medienhaus, das seit Juni eine Niederlassung in Berlin hat, sie schon seit zehn Jahren durchführt, jedes Jahr mit einem namhaften Werk der Weltliteratur, in der Vergangenheit etwa von Nick Hornby oder Irvin D. Yalom. „Seids ihr wahnsinnig, 100.000 Bücher?“, habe es dort von allen Seiten geheißen, als „Eine Stadt. Ein Buch“ im Jahr 2001, frisch aus Chicago importiert, erstmals stattfand, erinnert sich Thomas Landgraf, der Geschäftsführer des Echo Medienhauses Berlin. Er stieß mit der Wiener Idee und der Suche nach Sponsoren zunächst auf gemischte Reaktionen. Beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels wurde laut Landgraf gar intern gestritten, ob das Projekt gefördert werden sollte oder nicht. Gewonnen haben die Gegner. „Ich glaube, die waren bloß neidisch, dass es nicht ihre Idee war“, meint Landgraf. Bei Dussmann hatte das Echo Medienhaus mehr Glück, das Kulturkaufhaus erscheint namentlich auf der Liste der Förderer und ist eine der vielen Verteilstellen.

Landgraf ist sich sicher, dass die Bücher binnen einer Woche weg sein werden. „In Wien dauert das mittlerweile nicht mal mehr zwei Tage“, sagt er. Der Aufwand hinter der Aktion ist beträchtlich. 200.000 Exemplare wurden dieses Jahr eigens gedruckt, 100.000 für Berlin, 100.000 für Wien. Die mussten an alle Verteilstellen kommen, wobei der Weg nach Berlin aus der Druckerei in Brandenburg sogar kürzer war als der nach Wien. Einfach sei es hingegen gewesen, Vargas Llosa für die Aktion zu gewinnen, er sagte direkt zu. Sein Roman „Der Geschichtenerzähler“, erschienen 1987, handelt von einem Mann, der zwischen versprengt lebenden Gruppen eines peruanischen Urwaldvolks hin- und herreist, um sie mit Geschichten zu unterhalten und zu verbinden. Das ist ein Gedanke, der auch hinter „Eine Stadt. Ein Buch“ steckt: eine Verbindung zwischen Menschen zu schaffen dadurch, dass sie das gleiche Buch lesen.

Sieht ganz nach einer Win-win-Situation aus: Buchpromotion für Vargas Llosa, Gratislesestoff für die BerlinerInnen, Imagepolitur für das Echo Medienhaus. „Wir sind die Guten,“ sagt Landgraf mit einem Lachen. Der Verlag, der unter anderem Magazine und Bücher publiziert, arbeitet mit Aktionen wie dieser oder der Finanzierung von Augen-Operationen in Afrika hart an der Etablierung dieses Rufs. „Eine Stadt. Ein Buch“ richte sich nicht an eine Elite, sondern an alle, bekräftigt Landgraf. Theoretisch stimmt das, praktisch wird die Aktion jedoch eher ohnehin leseaffine Menschen erreichen. Weder Schulen noch soziale Einrichtungen befinden sich unter den Verteilstellen. CARLA BAUM

■ Verteilstellen unter: www.einestadteinbuch.at/berlin