Der Zwang zur Paarbildung

FEMINISMUS Beim Bar Camp in der Kalkscheune diskutierten Frauen am Samstag über Gleichstellung und Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung und Karrieregaps, gläserne Decken und muslimischen Feminismus

Es ist kein Widerspruch, Muslimin und Frauenrechtlerin zu sein, meint Kübra Gümüsay: „Ich trete für Frauenrechte ein, weil ich finde, dass Gott uns gleich geschaffen hat“

VON PATRICIA HECHT

Zumindest eine Frage ist klar, bevor es losgeht: Was wollt ihr eigentlich? Der Rest steht zur Debatte beim „Bar Camp Frauen“ am Samstag in der Kalkscheune. Das liegt schon an der Form der Veranstaltung. Bar Camp, das heißt: Jede und jeder kann kommen und etwas anbieten, ein Seminar oder einen Workshop zum Beispiel. Und dann liegt es auch noch am Thema: Frauen. Wo die gerade stehen, dazu haben die meisten eine Meinung. Aber ob sie nun welche sind oder nicht, kontrovers diskutiert wird die Frauenfrage ja gerne.

Wer kommt, wenn es um Frauen geht? Wer spricht, wer macht mit? Ist das hier Teil des Feminismus und wenn ja, von welchem? Jedenfalls kommen eine ganze Menge Menschen, mehr als 150. Die weitaus meisten sind Frauen zwischen 20 und 40, Akademikerinnen und weiß. Zu exklusiv sei die Veranstaltung, wurde deshalb auch schon im Vorfeld auf der Seite kritisiert, zu ausgrenzend der Name.

„So weiß sind wir gar nicht mehr“, sagt Organisatorin Nancy Haupt, wissenschaftliche Mitarbeiterin der SPD im Bundestag. Sie organisiert das Camp im zweiten Jahr in Kooperation mit einer ganzen Reihe von AkteurInnen, die Position beziehen: dem Missy-Magazin, der multikulturellen Gazelle und dem Online-Magazin Aviva, dem Freitag, den Bloggerinnen der Mädchenmannschaft und dem DGB. Um Austausch soll es gehen, interessante Themen, Vernetzung. Und was die Geschlechter angeht: Gleichstellung müsse mit allen diskutiert werden, heißt es vorab. Aber auch mal unter sich zu sein, mehr oder weniger jedenfalls, trage zumindest zu einer offenen Diskussionskultur bei.

Entspannt geht es also zu, ein bisschen Wohlfühlatmosphäre darf sein, die fehlt sonst häufig, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Um den kreisen die meisten Themen, die zur Hälfte von OrganisatorInnen, zur Hälfte aus dem Publikum kommen: Um Anforderungen wie Teilzeitarbeit und Kinderbetreuung geht es, um Karrieregaps in der Wissenschaft, um Burn-out, gläserne Decken und männliche Netzwerke. Durch Handzeichen wird signalisiert, ob Interesse besteht, nur dann findet ein Workshop auch statt.

Pragmatisch ist die Zielrichtung, scheint es, ein kleiner Praxistest von Gleichberechtigung auf Alltagstauglichkeit: Wie sind die Dinge und was machen wir damit? „Das sind hier alles Themen, von denen ich schon mal gehört habe“, sagt eine 32 Jahre alte Frau, die in der Filmproduktion arbeitet. „Aber darüber zu sprechen und sich Strukturen bewusst zu machen, hilft sehr, damit umzugehen.“

Das geht nicht weit genug

Während das den meisten zu genügen scheint, geht es anderen nicht weit genug. Wenig Neues sei dabei, sagt eine Journalistin und feministische Aktivistin, die Gruppe sei sehr homogen, die meisten Themen nicht so spannend. Und trotzdem, sagt die Autorin Jana Hensel, die vor drei Jahren das Buch „Neue deutsche Mädchen“ geschrieben hat und einen Workshop zu Ost- und West-Frauen anbietet: „Die wirken bei sich hier.“ Also selbstbewusst, angekommen und emanzipiert von der älteren Generation.

Ein bisschen Theorie-Input gibt es dann doch noch, der das auch bestätigt: Die Bloggerin und taz-Kolumnistin Kübra Gümüsay spricht über muslimischen Feminismus. „Richtig cool wäre es, wenn Alice im Publikum säße und einfach mal den Mund hielte“, lautet der Untertitel ihres Workshops in Bezug auf Alice Schwarzer, die bekanntlich Kopftüchern den Kampf angesagt hat. Ihre religiöse Überzeugung sei nun mal nach außen hin sichtbar, sagt Gümüsay. Es ist kein Widerspruch, Muslimin und Frauenrechtlerin zu sein, meint sie: „Ich trete für Frauenrechte ein, weil ich finde, dass Gott uns gleich geschaffen hat.“ Weil sie aber ständig damit beschäftigt sei, den Islam zu erklären und zu verteidigen, komme sie gar nicht mehr dazu, ihrer eigenen Community gegenüber kritisch zu sein, sagt Gümüsay. „Wir sehen die Fehler immer nur beim anderen.“ Es gehe nicht darum, seine Identität abzulegen, sondern darum, gegen Missstände gemeinsam anzugehen. Verhandelt wird so die alte Frage, wie FeministInnen dazu gebracht werden, mit- statt gegeneinander zu kämpfen, nur hängt sie sich hier am Kopftuch auf.

Es stehen noch ein paar weitere Themen jenseits des Arbeitsmarkts auf dem Programm, denn auch über die Lebenswelt gibt es Redebedarf. „Überleben als Single“ zum Beispiel: „Warum wir ein anderes Verständnis von Alleinstehenden brauchen.“ Um Selbstvergewisserung darf es hier gehen: Da sitzen 40 Frauen, die ihr Leben auf die Reihe kriegen, und trotzdem können alle ein Lied davon singen, behandelt zu werden, als sei Mitleid angebracht. Vom Zwang zur Paarbildung erzählt eine oder von der medialen Uralt-Schublade, Single-Frauen um die 30 als frustrierte Bridget Jones darzustellen, die in ihre Haarbürste singt und auf Typen wartet. Erleichterung, dass andere das auch nicht mehr hören können. Und befriedigende Begründungen, warum es eine nicht kümmert, wenn kein Typ vorbeikommt: „Ich höre meine biologische Uhr nicht, weil die Musik zu laut ist.“