: Das UN-Gericht spricht Serben und Kroaten frei
INTERNATIONALER GERICHTSHOF Truppen beider Staaten verübten im Jugoslawienkrieg schwere Verbrechen, aber keinen Völkermord
VON ERICH RATHFELDER
SARAJEVO taz | Weder Serbien noch Kroatien haben sich nach Ansicht des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag im Jugoslawienkrieg von 1991 bis 1995 des Völkermords schuldig gemacht. Die Verhandlung vor dem höchsten UN-Gericht war nötig geworden, nachdem beide Seiten sich gegenseitig des Völkermordes beschuldigt hatten. Die kroatische Klage war schon 1999 eingegangen, 2010 hat Serbien nachgezogen und seinerseits Kroatien verklagt.
1991 hatten von serbischen Offizieren befehligte Truppen der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee und extremistische Freischärler aus Serbien fast ein Drittel des Landes unter ihre Gewalt gebracht und alle Nichtserben aus dem Gebiet, das vor allem die an Dalmatien grenzende Krajina und Teile Slawoniens umfasste, vertrieben. Etwa 10.000 Menschen sind dabei getötet worden. Vor allem die ehemals berühmte Barockstadt Vukovar ist zum Symbol dieses Kampfes geworden, sie wurde von serbischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht. Im Krankenhaus der Stadt wurden nach dem serbischen Einmarsch über 200 Patienten ermordet.
Viele der damals begangenen Verbrechen sind inzwischen vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verhandelt worden, einige der Verantwortlichen wurden vom Tribunal verurteilt. Die damals begangenen Verbrechen reichten jedoch nicht aus, den Vorwurf eines Genozids zu begründen, erklärte der Internationale Gerichtshof gestern in Den Haag. „Eine ethnische Säuberung ist nicht gleichbedeutend mit einem Völkermord.“ Es gehe bei einem Genozid nicht darum, eine Bevölkerungsgruppe zu vertreiben oder ihr zu schaden, „sondern sie zu vernichten“. Dies konnte von kroatischer Seite aus den serbischen Truppen nicht nachgewiesen werden, erklärte das Gericht. Richter Peter Tomka: „Der kroatische Vorwurf muss vollumfassend zurückgewiesen werden.“ Dieses Urteil sei mit 15 zu 2 Richterstimmen gefallen, teilte der IGH mit.
Kroatien hatte 1999 zudem die Forderung nach Reparationen erhoben. Die serbischen Truppen hätten die Infrastruktur zerstört und ein Drittel des Landes verwüstet, erklärten kroatische Juristen aus Zagreb der taz. Systematisch hätten die Serben auch das Privateigentum von geflohenen Kroaten zerstört, ganze Dörfer und Häuserzeilen in den Städten gesprengt oder abgebrannt. Das Gericht hat die Forderungen nach Reparationen jedoch zurückgewiesen.
2010 hatte die serbische Regierung eine Gegenklage eingereicht. 1995 hatte die kroatische Armee in einer Offensive von nur 70 bis 80 Stunden den größten Teil der serbisch besetzten Gebiete in Kroatien wieder zurückerobert. Während der Aktion „Oluja“ (Sturm) flohen etwa 200.000 kroatische Serben zusammen mit den serbischen Truppen aus der umkämpften Krajina in Richtung Bosnien und Serbien. Während dieser Flucht und vor allem nach der Offensive der Kroaten wurden mehrere Hundert zurückgebliebene serbische Zivilisten getötet, viele von ihnen ermordet. Der kroatischen Führung könne jedoch kein Vorsatz für diese Morde nachgewiesen werden, urteilten die Richter nun einstimmig.
Beide Regierungen zeigten sich erleichtert über das Ende des Verfahrens, über das jeweilige Urteil gingen jedoch die Meinungen auseinander. Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic erklärte, wir „sind nicht zufrieden, aber akzeptieren das Urteil“. Serbiens Justizminister Nikola Selakovic erklärte: „Das Gericht hat unsere Erwartungen erfüllt.“ Mit dem Urteil kann die zwischen beiden Staaten angestrebte Normalisierung der Beziehungen weitergeführt werden. Serbien braucht die Unterstützung Kroatiens, um in die EU aufgenommen zu werden, und ist deshalb noch mehr als die Kroaten um eine Entkrampfung des Verhältnisses bemüht.
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