Wulffs neue Wahrheiten

Warum nicht bis 2021 Ministerpräsident sein? Merkel ist toll, Kohl auch, Schröder war böse. In einem Interview-Buch leiert Niedersachsens Regierungschef die ewig gleichen Antworten herunter

VON KAI SCHÖNEBERG

„Was“, fragt Jürgen Großmann, der an diesem Donnerstag in Hannover die Laudatio für das Buch namens „Besser die Wahrheit“ hält, „mag der Titel wohl bedeuten?“ Besser die Wahrheit sagen? Sie besser verschweigen? Oder sie gar ignorieren? Spitzbübisch schaut der einstige Stahlboss und frisch gekürte RWE-Vorstand den Großjournalisten und Interviewer Hugo Müller-Vogg und den von ihm Interviewten Gernegroß Christian Wulff an.

Großmann hat wohl keine ehrliche Antwort erwartet. Und so darf der Titel des 226 Seiten starken neuen Werkes über und mit dem niedersächsischen Ministerpräsident als Imagepflege gelten. Wulff präsentiert sich dem Volk als „zurückhaltend und entschlossen“, als solide, authentisch wie menschlich. Die Wahrheit verträgt der Wähler leider selten. Auch weil im kommenden Januar Landtagswahl ist, stimmt Wulff auch auf durchaus kritische Fragen des einstigen FAZ-Herausgebers und derzeitigen Bild- und Super Illu-Kolumnisten Müller-Vogg die alte Leier an. „Ich möcht’s nicht machen“, sagt er auf die Frage nach der Kanzlerkandidatur des einst beliebtesten Politikers der Republik.

Ja, der Wulff kann im Urlaub „auch wochenlang ohne Politik“ sein. Ihm genügt es, sieben Tage lang 90 Stunden für Niedersachsen zu arbeiten, warum nicht gleich bis 2021? Dann wäre Wulff 18 Jahre Chef der Staatskanzlei. Die 110-Stunden-Woche im Bundeskanzleramt erscheint dem safttrinkenden („kein Verhältnis zum Alkohol“) Politiker dann doch zu viel. Allerdings gesteht er, wie sein Stuttgarter Amtskollege Günther Oettinger morgens um fünf Uhr am Klavier „eine wundervolle Stimmung verbreiten“ zu wollen. Wahrscheinlich sei er nicht ehrgeizig genug für Berlin, meint Wulff samtweich. Und natürlich lobte er am Donnerstag die „analytische“ Denkart seiner Chefin, der kanzlernden Physikerin Angela Merkel: Es sei doch eindrucksvoll, wenn Leute die Relativitätstheorie von Einstein verstehen.

Im Zimmer des einstigen jungen Wilden hat er schon als 17-Jähriger keinen Bravo-Starschnitt, sondern ein Kohl-Poster aufgehängt. Wulff nennt Kohl „knuddelig“, obwohl er während der CDU-Spendenaffäre mit für dessen Sturz verantwortlich war. Kohl, sagt Wulff heute, sei ein idealer Kandidat für den Friedensnobelpreis.

Über dessen Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) hat sich der Wulff hingegen „fürchterlich geärgert“. Der heute 48-Jährige hat nicht nur zweimal die Wahlen in Niedersachsen gegen Schröder verloren. „Brandgefährlich“ sei der, weil er „morgens bei der IG Metall und nachmittags bei den Metallindustriellen mit unterschiedlichen Inhalten jeweils Beifall ernten konnte“.

Da Politik auch privat ist, plaudert Wulff auch über die Trennung von seiner Frau nach 19 Jahren Ehe. „Manchmal habe ich gedacht, der eine navigiert im Indischen Ozean, der andere im Atlantischen Ozean“, sagt Privatier Wulff über das Leben mit Christiane. Seit dem vergangenen Jahr lebt er mit einer deutlich jüngeren Pressereferentin in Hannover. Auch über die bevorstehende Scheidung offenbart sich Womanizer Wulff: „Wir behandeln unsere Trennung als Privatsache.“