Publikumsnahe Bodenhaftung

JUBILÄUM Wie gute Kumpel: Das Atze-Musiktheater begeht seinen 25. Geburtstag und beschenkt sein junges Publikum mit dem Konzertprogramm „Atze rockt“. Gespielt wird auch ihr preisgekrönter Song „Murmeln“

Das Atze-Theater wird kaum subventioniert. Aber es erhielt viele Auszeichnungen

VON KATHARINA GRANZIN

Das Berlinerische ist auch nicht mehr das, was es mal war. Oder wer weiß schon noch, was „Atze“ bedeutet? Zu der Zeit, als Thomas Sutter, Leiter des Atze-Musiktheaters, Jahrgang 1955, in Berlin-Neuenhagen zu einem Bengel heranwuchs, bezeichnete man damit einen großen Bruder. „Wir sind für unser Publikum wie ein guter Kumpel“, erklärt Sutter, und genau das habe man bei der Namenswahl ausdrücken wollen. Als man damals das Publikum nach Namensvorschlägen befragte – „Atze“ kam als Zuschaueridee –, war man allerdings noch gar kein Theater, sondern eine Band. Und auch die hatte sich eher so ergeben.

Unerwarteter Erfolg

Thomas Sutter, der in den achtziger Jahren in einem Kreuzberger Kinderladen als Erzieher arbeitete, hatte nach der Geburt seiner Tochter begonnen, ein paar Kinderlieder zu schreiben. Als eines davon bei einem Musikwettbewerb den zweiten Platz gewann, nahm er den Erfolg zum Anlass, eine Band zu gründen. Diese Combo sollte dann zu „Atze“ werden und tourte zunächst durch Kinderläden und Schulen. Danach war sie viele Jahre deutschlandweit unterwegs. „Wir haben bestimmt 2.500 Mal auf der Bühne gestanden“, schätzt Thomas Sutter, auf der Bühne des Atze-Musiktheaters stehend zwischen Thomas Lotz, den musikalischen Leiter des Hauses, und dem Schauspieler und Musiker Stephan Hoppe, beides Atze-Männer der ersten Stunde.

Inzwischen sind alle, in Ehren und in Maßen, ergraut, denn die Anfänge liegen schon etliche Jahre zurück. Jetzt nämlich genau 25. Aus diesem Anlass hat man sich im Haus an der Luxemburger Straße auf die Anfänge besonnen und beschlossen, zum feierlichen Anlass wieder einmal ein reines Musikprogramm aufzulegen.

„Atze rockt“ heißt kurz und bündig die Produktion, die Lieder aus 25 Jahren bündelt, wobei Thomas Sutter, der als Theaterleiter mittlerweile eher in die Rolle des Organisators hineingerutscht ist, endlich wieder Gelegenheit bekommt, die Rampensau rauszulassen.

Die Arrangements sind bühnenfüllend opulent orchestriert; ein knappes Dutzend Mitwirkende umrahmen Sutter, der mit seiner Gitarre an der Rampe steht und den musizierenden Conférencier und Musikclown gibt, unterstützt von zwei singenden Damen in Blümchenkleidern, den Schauspielerinnen Heleen Joor und Sabine Liebisch. Da es ein Jubiläumskonzert ist, darf natürlich jenes allererste Lied, das vor 25 Jahren vom deutschen Kinderschutzbund als preiswürdig erachtet wurde und damit den Atze-Startschuss gab, nicht fehlen.

„Murmeln“ heißt es und gibt seinerseits Anlass für eine linguistische Erläuterung, denn mit „Murmeln“ habe man zur Zeit von Sutters Kindheit kleine Holzkügelchen bezeichnet, während die größeren Glaskugeln „Bucker“ hießen. Und auch wenn das Murmelspiel heute unter der Kindschaft nicht mehr so weit verbreitet sein mag wie früher, verweist diese Themenwahl doch auf die publikumsnahe Bodenhaftung der Atze-Lieder.

Sie nehmen ihre Texte aus dem Alltag der Kinder, singen von Spielen, von Ängsten, von Freundschaft und Streit. Und da Kinder es hassen, lange Zeit stillzusitzen, gibt es immer wieder Gelegenheit zum Mitsingen, Mittrampeln und Klatschen. „Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell eine Stunde vorbei ist, wenn man hier zuhört“, sagt das altkluge Kind an meiner Seite. Am Schluss werden über zwei Stunden vorbei sein, und als nach drei Zugaben das Licht wieder angeht, rufen ein paar nimmermüde Schreihälse immer noch nach mehr. Das temperamentvolle Liederprogramm ist insofern ein Solitär im Spielplan, als Atze sich mit den Jahren auch thematisch sehr weit entwickelt hat.

Breites Altersspektrum

Nicht nur, dass „Atze rockt“ seit Jahren die erste konzertante Produktion zwischen lauter Theaterstücken ist. Auch das Altersspektrum der Zielgruppe hat sich deutlich erweitert. Viele Stücke sprechen mittlerweile ein gar nicht mehr so kindliches, sondern ein eher jugendliches Publikum an, wie etwa „Ayla – Alis Tochter“, ein Musical über die Themen verbotene Liebe und Zwangsheirat, zu dem das Theater auch zahlreiche Workshops an Schulen durchgeführt hat. Andere Produktionen, wie etwa die dramatisierten Biografien von Bach und Einstein, oder das konzertant aufgeführte musikalische Märchen „Keloglan und die Räuberbande“ sind ausgesprochene Familienstücke, denen Kinder gut folgen können, woran aber auch Erwachsene ihren Spaß haben.

Noch immer muss Atze mit sehr viel weniger Subventionen auskommen als andere Kinder- und Jugendtheater. Das geschärfte künstlerische Profil schlägt sich jedoch mittlerweile immerhin deutlich in gesteigerter öffentlicher Anerkennung nieder. Zahlreiche Produktionen des Hauses wurden in den letzten Jahren mit Theaterpreisen ausgezeichnet.

■ Nächste Vorstellungen „Atze rockt“: 19. Oktober, 10.30 h, 23. Oktober, 16 h