Rassistisch verzerrte Rollen

FILMGESCHICHTE Das Filmmuseum Potsdam widmet sich dem kaum bekannten Leben und Schaffen afrodeutscher Komparsen in Babelsberg

Louis Brody hat in fast allen Propagandafilmen von „Jud Süß“ bis „Kolberg“ mitgespielt

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Er war der erste Afrikaner, der in Deutschland mit einem Stolperstein bedacht wurde. Vor sechseinhalb Jahren wurde der gesetzt, in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte, wo Mohamed Husen in den dreißiger Jahren gewohnt hatte, bevor er 1944 nach dreijähriger Haft im KZ Sachsenhausen starb. Nach Berlin gereist war der 1904 als Majub bin Adam Mohamed Hussein in Daressalam geborene Mann 1929, um vor dem Gericht Lohn und Anerkennung einzufordern für seine Dienste bei den Kolonialtruppen des Kaiserreichs.

Heute und morgen ist Hussein/Husen im Potsdamer Filmmuseum in einer Dokumentation zu sehen, in der die Regisseurin Eva Knopf die Spuren seines Lebens versammelt. Dabei ist die materielle Ausgangslage von „Majubs Reise“ so dünn wie schwierig. Denn wie viele andere in Deutschland lebende Afrikaner der damaligen Zeit hatte er sich mangels anderer bürgerlicher Erwerbsmöglichkeiten neben einer Tätigkeit als Sprachlehrer auch als Kleindarsteller bei Kinoproduktionen verdingt, die für ihre Kolonialfilme immer auf der Suche nach „Exoten“ waren.

So strickten die Afrikaner notgedrungen selbst mit an der Verfertigung der NS-Propaganda. Und die bewegten Bilder, die es aus Husens Leben gibt, zeigen ihn immer nur kurz im Hintergrund des Geschehens und in rassistisch verzerrten Rollen. Herausforderungen, denen sich Eva Knopf mit inszenatorischer Intelligenz und Hilfe aktueller Digitaltechnik stellt, mit der sie ihren Hauptdarsteller aus den ihm aufgedrückten Zuschreibungen herauspräpariert und ihm ein Eigenleben jenseits der intendierten Inszenierung gibt.

Drei Programme an zwei Tagen sind es insgesamt, die sich in Potsdam den „afro-deutschen Komparsen in Babelsberg“ widmen. Zu Gast heute mit seiner letztes Jahr erschienenen Autobiografie ist Theodor Michael, der, eine Generation nach Mohamed Husen, 1925 als Sohn eines Kameruners und einer aus der Gegend um Posen zugewanderten Mutter in Berlin geboren wurde und – wie viele Nichtweiße damals – schon als Kind bei sogenannten Völkerschauen im Zirkus zum spärlichen Familienunterhalt beitragen musste.

Später war auch er Komparse in Filmen wie „Kongo Express“, „Ohm Krüger“ oder „Carl Peters“. Und „Münchhausen“, für dessen opulente Pracht die UFA noch einmal mit letzter Kraft alle verfügbaren „Exoten“ – einschließlich französischer Kriegsgefangener – rekrutierte. Als sich Michael nach Kriegszwangsdienst, DP-Lager und einer Anstellung bei der US-Armee wieder um Rollen bei nachkriegsdeutschen Bühnen bewarb, war nicht nur der „Hamlet“ weißen Darstellern vorbehalten. Auch Othello oder Caliban schminkte man sich lieber per Blackfacing zurecht.

Der bekannteste afrodeutsche Darsteller der zwanziger und dreißiger Jahre war der 1892 in Kamerun als Mbebe Mpessa geborene Louis Brody, der in fast allen Propagandafilmen von „Jud Süß“ bis „Kolberg“ mitgespielt hatte – und es als einer von wenigen so weit gebracht, dass sein Name bei einigen größeren Rollen auch im Vorspann genannt wurde. So etwa bei der deutsch-italienischen Koproduktion „Vom Schicksal verweht“, einer in der Karibik angesiedelten Abenteuergeschichte, zu deren Dreh ein ganzer Trupp afrodeutscher Darsteller – darunter auch Theodor Michael – mit der Bahn über den Brenner in die Studios von Cinecittá gereist war.

Nach den Krieg spielte Brody bis zu seinem Tod 1951 als Artist und Musiker in Zirkus, Kabarett und bei der Defa. Auch Theodor Michael stand dank des Einsatzes des Frankfurter Regisseurs Fritz Rémond wieder auf der Bühne, bevor er sich immer mehr der Erforschung afrodeutscher Geschichte widmete und dann noch eine unverhoffte Karriere als BND-Beamter hinterherschob. Vielleicht gelingt es fleißigen Forschern ja, bald weitere Details dieses immer noch weitgehend unbekannten Teils der Filmgeschichte zu ergründen – und damit auch den beteiligten Personen eine Existenz jenseits von Anonymität oder Opferstatus zu geben. Wie bei Mohamed Husen, der im Künstleralmanach von 1941 als „Ehemaliger deutscher Askari Kriegsteilnehmer 1914–1918“ und „Filmdarsteller und Berater für alle Kolonialgebiete“ für sich warb. „Sprachen: deutsch, englisch, arabisch, suaheli, vier afrikanische Ost-Küsten-Dialekte“.

■ „Das Leben und Schaffen afro-deutscher Komparsen in Babelsberg“: 5. + 6. 2., Filmmuseum Potsdam, www.filmmuseum-potsdam.de