Große Koalition vier Jahre nach dem Regimewechsel

TUNESIEN Neue Regierung steht. Sie reicht von alten Dienern der Diktatur bis zu Amnesty International

Die Koalition schließt die Islamisten ein und verfügt über eine breite Mehrheit

VON REINER WANDLER

MADRID taz | Tunesien bekommt eine Große Koalition. Die säkulare Nidaa Tounes (Der Ruf Tunesiens), Sieger der Wahlen vom Januar, die islamistische Ennahda (Erneuerung) sowie drei kleinere liberale Parteien haben sich auf ein gemeinsames Kabinett unter dem 65-jährigen Unabhängigen Habib Essid geeinigt. Am Mittwoch sollte das Parlament der neuen Regierung ihr Vertrauen aussprechen.

Essid war von Staatspräsident und Nidaa-Tounes-Chef Béji Caïd Essebsi nach dem Sieg von Nidaa Tounes bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Januar mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Essid gilt als enger Vertrauter Essebsis.

Der parlamentarischen Nominierung Essids und seiner Regierung stand gestern Nachmittag nichts mehr im Wege. Denn die fünf Koalitionspartner verfügen zusammen über eine breite Parlamentsmehrheit von 179 der 217 Abgeordneten, auch wenn sich bei Nidaa Tounes Stimmen meldeten, die gegen einen Pakt mit den Islamisten sind. Die Partei, in der auch manche Teile der beim Arabischen Frühling von 2011 gestürzten Diktatur Ben Alis eine neue Heimat gefunden haben, hatte im Wahlkampf das Thema „säkulare Politik“ gegen „religiöse Politik“ hervorgehoben, um Gegner der Islamisten um sich zu scharen.

Ministerpräsident Essid ist ein altgedienter Politiker. Er war einst unter Diktator Zine el-Abidine Ben Ali in mehreren Ministerien Kabinettschef – darunter im Innenministerium von 1997 bis 2001. Nach dem Sturz der Diktatur im Januar 2011 wurde er Innenminister, anschließend Sicherheitsberater der ersten freigewählten Regierung unter Führung von Ennahda.

Es ist der zweite Anlauf Essids nach den Wahlen vom Januar, eine Regierung zu bilden. Seine erste Kabinettsliste hatte nur aus säkularen Politikern und Unabhängigen bestanden. Sie wurde dem Parlament gar nicht erst vorgelegt, da neben der linken Opposition auch Ennahda ankündigte, mit „Nein“ zu stimmen. Es wurde eiligst nachverhandelt. Essid nahm einen Ennahda-Politiker als Arbeitsminister ins Kabinett. Außerdem wurden zwei Islamisten als Staatssekretäre berufen. Essid sicherte sich damit die Stimmen der zweitgrößten Fraktion in der Volksversammlung.

Das Kabinett besteht nun aus 27 Ministern und 14 Staatssekretären; darunter sind drei Ministerinnen und fünf Staatssekretärinnen. Es sitzen Gewerkschafter am Tisch, aber auch ein Gründungsmitglied der tunesischen Sektion von Amnesty International. Dunkler Punkt für die Opposition ist, dass neben Essid mehrere Minister im Kabinett sind, die schon unter Ben Ali in der Regierung saßen.