Alte und neue Liberale suchen ihren Platz

WAHL Trotz linksliberaler Konkurrenz hat die FDP gute Chancen, den Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft zu schaffen. Spitzenkandidatin Katja Suding buhlt um CDU- und SPD-Wähler

HAMBURG taz | Katja Suding dürfte eine der GewinnerInnen der Hamburger Bürgerschaftswahl am 15. Februar sein. Die Spitzenkandidatin, Vorsitzende und Fraktionschefin der Hamburger FDP wird mit großer Wahrscheinlichkeit erneut ins Rathaus einziehen – mit oder ohne ihre Partei. Denn Suding hat gute Chancen, in ihrem Wahlkreis, den Villenvierteln in den noblen Elbvororten, ihr 2011 erkämpftes Direktmandat zu verteidigen. Dann säße sie auch ohne Partei als Fraktionslose im Landesparlament. Bei einer durchaus möglichen Pattsituation könnte sie dann gar der SPD zur Mehrheit verhelfen – und sich zu einem Senatorenposten.

Aber natürlich will die 39-Jährige davon offiziell nichts wissen. Sie wolle das FDP-Ergebnis von 6,7 Prozent vor vier Jahren im Februar „noch toppen“, gibt sich Suding siegessicher. Nicht ganz ohne Grund: Bei 5 Prozent werden die Liberalen zurzeit in Umfragen verortet. Die Bundesspitze, Parteichef Christian Lindner und sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki, sind inzwischen Dauergäste in Hamburg, „wo die Trendwende gelingen wird“, wie Lindner glaubt. Die Strategie ist klar: Wenn Strahlefrau Suding in Hamburg Erfolg hat, darf die gesamte FDP von ihrer Wiederauferstehung träumen. In Anlehnung an die Hollywood-Heldinnen „Drei Engel für Charlie“ posiert sie im Hochglanzmagazin Gala bereits als „Engel für Lindner“. In der Politik helfe es, „wie ein Engel zu wirken“, sagt sie.

Die PR-Beraterin ist eine begnadete Wahlkämpferin.

Inhaltlich kann die liberale Eine-Frau-Schau darauf verweisen, vier Jahre lang einen klaren Kurs gefahren zu haben. Handel und Wandel, Vorrang der Ökonomie vor der Ökologie, bessere Bildung auch für Kinder wohlhabender Eltern, eine autofreundliche Verkehrspolitik, straffe Sparsamkeit in der Haushaltspolitik und klare Bekenntnisse zu Bürgerrechten und Datenschutz waren die liberalen Leitplanken – es ist der bekannte freidemokratische Wertekanon. Im Wahlkampfendspurt präsentiert Suding sich als einziges Mittel gegen Rot-Grün.

Sollte die SPD ihre absolute Mehrheit verlieren, wären Koalitionsverhandlungen mit den Grünen nach den Worten des sozialdemokratischen Bürgermeisters Olaf Scholz die erste Option – und ohne FDP wohl auch die einzige. „Dann können die Grünen den Koalitionsvertrag diktieren“, warnt Suding. Hemmungslos baggert sie um Grünen-skeptische Wähler von CDU und SPD gleichermaßen: „Nur wir als FDP können dafür sorgen, dass die Vernunft der Mitte in Hamburg regiert.“

Dabei droht ihr von den Neuen Liberalen (NL) wenig Gefahr. Die linksliberale FDP-Abspaltung um die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ex-FDP-Landesvorsitzende Sylvia Canel liegt in Umfragen unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze. Auch von einem Exodus der Mitglieder kann keine Rede sein: Die Hamburger FDP hat zurzeit 1.050 Mitglieder, nur 50 weniger als vor einem halben Jahr, die NL hat in Hamburg ganze 85 Mitglieder.

Seit Herbst 2014 versuchen die beiden SpitzenkandidatInnen der NL, die ehemalige Grüne Isabel Wiest (43) und der Ex-FDPler Christian Schiller (29), das Sozialliberale neu zu erfinden. „Ökologie und Soziales dürfen keine Nischenprodukte des Liberalismus sein“, sagt Wiest. „Auch die Kritik an Großkonzernen ist eine Frage freiheitlicher Politik.“

Wie die NL sich in der umkämpften politischen Mitte behaupten will, in der sich in Hamburg schon CDU, FDP, SPD und Grüne tummeln, ist offen. Aber vielleicht hilft ihnen ja ihre spektakulärste Wahlkampfaktion beim Überleben: Freitags verteilen sie vor Moscheen das Grundgesetz. SVEN-MICHAEL VEIT