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Medien bestimmen unsere Lage

NACHRUF Mit seinem Blick auf Maschinen, Alphabete, Zahlen und Computer hat er unsere Sicht auf die Welt verändert. Der große Medientheoretiker Friedrich Kittler ist tot

VON STEFAN HEIDENREICH

Am Dienstag starb Friedrich Kittler, ein Großer unter den Denkern unserer Zeit. Am Freitag sah ich ihn zum letzten Mal im Krankenhaus. Seine Stimme war schon schwach, ein Bildschirm zeichnete jeden Herzschlag nach, Alarme und Blinklichter unterbrachen unser Gespräch, wann immer er sich regte. „Mehr Licht“, flüsterte er, „reden Sie über Theorie“.

In Bochum vor 23 Jahren hörte ich ihn zum ersten Mal. Er sprach über Orson Welles’ Hörspiel „Der Krieg der Welten“. Ich meldete mich zu Wort und warf ein, dass es darin nicht nur ums Radio selbst ginge, dass es noch eine Message neben dem Medium gab. Damit zog ich seinen Zorn auf mich. Es mussten ein paar Jahre vergehen, ehe Kittler zu dem Lehrer wurde, von dem ich mehr gelernt habe als von irgendjemand anderem.

„Medien bestimmen unsere Lage“, schrieb er im Vorwort zu „Film Grammophon Typewriter“ und gab damit das Signal für eine neue Theorie, die zuallererst beim Medium als etwas Technischem ansetzte. In seinem Wohnzimmer in Bochum und später auch in Berlin gab es immer die Ecke, wo Schaltplatinen und Lötkolben herumlagen. Programmieren wurde zur Obsession, Maschinen, Formeln und Maschinencode wurden mit derselben Genauigkeit gelesen wie Texte.

Seine Größe aber lag in etwas Anderem. Er begründete eine Denkweise, die eine eigene Welt hervorbringt. Damit erreichte er das Höchste, was Denken überhaupt möglich ist. Man mag seine Sichtweise teilen oder nicht, man mag sich davon abwenden oder sie weiterführen. Aber wie immer man sich dazu verhält, es steht fest, dass er mit seinem Denken unsere Sicht auf die Welt verändert hat.

Die Schriften von Marshall McLuhan standen für ihn an einem Ausgangspunkt. Um den Menschen loszuwerden, als dessen Fortsatz McLuhan die Medien noch immer sehen wollte, berief sich Kittler auf die Psychoanalyse Jacques Lacans und auf Michel Foucault, dessen Diskursanalyse er ins Technische wendete. Die sogenannte deutsche Medientheorie, von der in letzter Zeit im Netz so oft die Rede ist, geht wesentlich auf das Werk Kittlers zurück. Doch er selbst ist dabei nicht stehen geblieben. 1995 stellte er im Nachwort zur dritten Auflage seines Buches „Aufschreibesysteme“ fest: „Mediengeschichte wäre nur verkappte Nostalgie, wenn sie auf dem Umweg über Schreibzeuge und Nachrichtentechniken wieder bei Dichterreliquien und Gedanken ankäme. Sie steht und fällt vielmehr mit der Heideggerschen Prämisse, dass Techniken keine bloßen Werkzeuge sind.“ Nirgends zeigt sich das besser als in unserer vom Internet geprägten Zeit. Wenig hätte gefehlt, um die Theorie technischer Medien für die Gegenwart des Netzes fruchtbar zu machen. Doch Kittlers Befürchtung, dass sein Ansatz als Geschichte ins Nostalgische kippen könnte, bewahrheitete sich.

Er selbst sagte sich von seiner zum akademischen Mainstream gewordenen Schule los, um sich einer neuen Wahrheit zuzuwenden: den Griechen, der Liebe, der Musik und der Mathematik. Sosehr er damit Befremden noch unter seinen eigenen Schülern hervorrief, so konsequent dachte er sich selbst damit an einen Ursprung und ein Ende. Wenn es im Schreiben eine Wahrheit gibt, dann am Anfang, bei der griechischen Schrift, der ersten, die alle Sprachen und Laute notieren kann. Dort finden sich auch die Ursprünge von „Musik und Mathematik“, so der Titel seines jüngsten, auf acht Bände angelegten Werkes, von denen zwei erschienen sind. „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Grad wie du und ich“ lauten die vorletzten Sätze seines letzten Buches.

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