Der neue Leitwolf

Der VfL Wolfsburg ist jetzt Weltklasse – allerdings vorerst nur auf der Position, die der Brasilianer Josue innehat. Gegen Rostock reichte es am Samstag dementsprechend nur für ein mühsames 1 : 0

von Peter Unfried

Ist Josue Weltklasse? Das ist für Felix Magath offensichtlich eine rhetorische Frage. Jedenfalls konnte man das aus seinem Gesichtsausdruck schließen. „Absolute Spitze“ sei er, sagt der Trainer und Geschäftsführer des Fußballbundesligisten VfL Wolfsburg. Und dann haut er ansatzlos noch einen raus: Brasilien sei bekanntlich nicht Weltmeister geworden, aber bei der WM 2006 sei Josue auch nicht dabei gewesen. „Vielleicht hätte es sonst gelangt.“ Ob er etwas ironisch meint, ist bei Magath immer schwer zu sagen. Fakt ist, dass Josue Anunciado de Oliveira, 28, inzwischen Stammspieler in der Seleção ist.

Der defensive Mittelfeldspieler war laut Magath ein „Schnäppchen“, jedenfalls im Vergleich, erworben im Spätkauf vom FC São Paolo. Nicht erst beim mühsamen 1 : 0 über Hansa Rostock am vergangenen Samstag war zu sehen, dass er ein Treffer sein kann, wie ihn der VfL Wolfsburg noch nicht gelandet hat. Die zentrale Position vor der Abwehr war beim VfL lange nicht so besetzt, wie sie es im modernen Fußball sein muss. Vorgänger Van der Leegte war zu limitiert, Santana hat nie richtig Fuß gefasst.

Weil Rostock aufs Mitspielen verzichtete, war Josue defensiv nicht so gefordert wie zuletzt gegen Bremens Diego, dennoch war seine Arbeit eindrucksvoll. Obwohl er zart daherkommt, verliert er kaum Zweikämpfe und kommt mit wenig Fouls aus. Er spielt in der Regel einfache, effektive Bälle, kann aber auch Monsterpässe. Er kann lange Wege nach vorn gehen und sogar Tore schießen (gegen Bremen). Und im Gegensatz zu anderen ist er tatsächlich immer anspielbar und tut nicht nur so.

Wie es derzeit aussieht, integriert er sich deutlich schneller in Deutschland als mancher andere Südamerikaner. Beim Debüt sah er zwar gleich Gelb-Rot, doch seit dem fünften Spieltag ist er die feste Größe in Magaths Versuch, per Trial and Error aus einem Riesenkader ein Stammteam zu entwickeln.

Richtung gegnerisches Tor hat Magath die von ihm so genannte „brasilianische Achse“ installiert. Vor Josue agiert Kapitän Marcelinho, davor der Keilstürmer Grafite. Dieser ist ein Kraftprotz, der eine Abwehr beschäftigen kann, aber auch viel zurückgepfiffen wird und (noch) zu viele Bälle verliert. Marcelinho tat sich vor allem die ersten 50 Minuten gegen Rostock schwer, als er steilen Bällen hinterrennen und um Flugbälle kämpfen musste. Zudem scheiterten seine Initiativen, den neuen, aber noch viel zu behäbigen Kombinationsfußball zu beschleunigen, an den Möglichkeiten einiger Mitspieler. Gar nicht zu reden von seinem Strafstoß (40.), den Hansa-Keeper Wächter großartig parierte.

Dass Wolfsburg am Ende doch gewann, lag daran, das Hansa gegen Ende anfing, unruhig zu werden. Das wiederum lag an dem eingewechselten VfL-Stürmer Edin Džeko und der damit verbundenen Umstellung auf 4-4-2. Džeko, 21, ist ein aus Teplice gekommener Bosnier. „Riesentalent“, nennt Magath ihn – und so spielte er auch. Džeko hielt das Spiel in der letzten Viertelstunde am Leben. Dreimal zog er allein los, aber ohne Ergebnis. Beim vierten Mal verwandelte er einen Pass des eben eingewechselten Munteanu zum 1 : 0 (89.)

Wolfsburg ist jetzt Zehnter, hat dreimal gewonnen, dreimal verloren, dreimal unentschieden. 13 : 13 Tore. Also alles im Mittelmaß, wie in der guten, alten Zeit vor dem Absturz? Naja: Früher debattierte man, ob 4,5 Millionen für Mike Hanke nicht zu viel seien. Heute hat Felix Magath einem Viermillionen-Einkauf wie Džeko den 7,5 Millionen-Einkauf Grafite vor die Nase gesetzt. Der dritte Viermillionen-Stürmer Radu ist nicht einmal im Kader. Also: Da ist fußballerische Qualität, mit der man arbeiten kann. Und was immer am Ende für ein Stammteam agiert, es wird sich um Josue formieren.