Aber die Maschine lebt

Man möchte bleiben und weiterstaunen, das Schauspiel endet viel zu früh: Die Klang- und Lichtinstallation „Stifters Dinge“ von Heiner Goebbels ruft im Haus der Berliner Festspiele die romantische Faszination für Automaten wach

Seit den Tagen seines legendären „Linksradikalen Blasorchesters“ ist Musik für Heiner Goebbels niemals ein geschlossenes Reservat für Stilübungen gewesen, welcher Art auch immer. Seine Wurzeln mögen biografisch im Jazz und bei Hanns Eisler zu suchen sein, seine Inspiration jedoch sind die großen Themen der Zeit, Theorien, philosophische Konzepte, die Goebbels überaus eigenwillig in Inszenierungen übersetzt.

„Stifters Dinge“ heißt die jüngste Etappe dieses umfangreichen, vollkommen originellen Lebenswerkes, und es ist ein ganz besonderes Stück Kunst eigenen Rechts zwischen allen Trends. Selbst Begriffe wie „cross-over“ und „multimedial“ passen nicht so recht zu dieser Installation, denn Goebbels kommt es gar nicht so sehr darauf an, Medien und Kunstgattungen miteinander zu vermischen. Dass eben das tatsächlich geschieht, liegt allein daran, dass er sich von dem romantischen Dichter Adalbert Stifter eine ganz eigene, hochgradig spekulative Frage nach der Natur vorgeben ließ.

Ein langer Auszug des Textes „Die Eisgeschichte“ aus der Sammlung „Die Mappe meines Urgroßvaters“ steht im Zentrum der etwa 70 Minuten langen Aufführung. Stifter beschreibt das Zusammenbrechen eines ganzen Waldes unter der Last eines Eisregens, und Goebbels versteht diesen Text zu Recht als Beschreibung einer Natur, die ohne den Menschen sich selbst überlassen ist. Ein paradoxes Unternehmen, denn wie sollten wir irgend etwas sehen, wenn es uns selbst nicht gäbe. Dennoch existiert diese menschenlose Natur, Stifter beschreibt sie überaus genau. Sie ist erschreckend schön, nicht eigentlich feindselig, aber unendlich fremd und voll tödlicher Gefahr.

Zweifellos hat die Erfahrung des schönen Erschreckens vor der zugleich eigenen und fremden Natur die Zeitstimmung der Romantik geprägt. Um der historischen Verständlichkeit willen illustriert Goebbels daher die Rezitation des Stifterschen Textes mit einer in wechselnden Farben verfremdeten Projektion eines Gemäldes aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigt einen Wald im Sumpf, aber diese Erinnerung an das organische Wuchern ist nur der Anknüpfungspunkt für eine weit radikalere Interpretation desselben Gedankens: Goebbels stellt Stifters Wald als Maschine vor uns hin.

Tatsächlich gehörte auch die Faszination für Automaten zum Repertoire der Romantik (etwa bei E. T. A. Hoffmann und Kleist). Goebbels und seine Mitarbeiter (Klaus Grünberg, Hubert Machnik, Willi Bopp) haben nun Klaviere, Bleche, Lautsprecher, Scheinwerfer und Projektoren mit Kabeln, Hebeln, Pumpen und Seilen zu einem raumfüllenden mechanisch-elektronisch-pneumatischen Apparat zusammengefügt, der schon allein durch sein verwirrend bizarres Aussehen als gelungenes Kunstwerk durchgehen könnte. Aber die Maschine lebt: Ihre Pointe besteht darin, dass gerade ein solches, ausschließlich aus menschlichen Artefakten planvoll zusammengebautes Gebilde nichts anderes ist als Stifters Eiswald: Es ist Natur, die sich selbst genügt.

Kein Mensch berührt die Tasten der Klaviere, ihr vertrauter Klang ist nur ein Geräusch wie andere, etwa das flüsternde Knirschen von Steinplatten, die über andere Steinplatten geschleift werden, sobald das Programm des Automaten dazu den Befehl ausgibt.

Selbst die weiteren Texte, die Goebbels in den Ablauf des künstlichen Naturtheaters einlesen lässt – aus Interviews mit Lévi-Strauss und Malcolm X etwa –, sind akustische Ereignisse, die nur zufällig aus bedeutungsvollen Worten bestehen. Indem sie vom Verschwinden des Menschlichen reden, machen sie eben dieses Verschwinden zum materiellen Prozess.

Und paradox wie schon Stifters Text reizt diese vor sich hin arbeitende Naturmaschine die Sinne mit immer neuen, betörend schönen Bildern und Klängen. Man möchte sitzen bleiben und weiter staunen, und wenn das Schauspiel endet, viel zu früh für die geweckte Neugier, möchte man applaudieren. Aber wem? Niemand ist da. Nur die Maschine, die auch jetzt noch, nach ihrem Drama, im Leerlauf Töne erzeugt. Übrig bleibt die zutiefst romantische Einsicht, dass man ihren Mechanismus erkennen kann, ihren Sinn aber nicht.

NIKLAUS HABLÜTZEL

Festspielhaus, Schaperstr. 24, von Dienstag bis Samstag, 20 Uhr, Freitag auch 23 Uhr