Die Bedürfnisse von Kindern

betr.: „Lafontaine und Müller retten die Liebe“, taz vom 1. 10. 07

Die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken über „erzkonservative“ contra „fortschrittliche“ Erziehungs- und Familienkonzepte – und ihre Behandlung in der taz – nerven zunehmend, sie sind ideologisch überhöht und haben eins gemeinsam: Niemand interessiert sich bei alledem für die Bedürfnisse von Kindern.

Kinder brauchen für ihre psychologische, intellektuelle und emotionale Entwicklung vor allem sichere Beziehungen. Im Alter von zwei bis sechs Jahren machen Kinder entscheidende Lernschritte: Die Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, die Entwicklung aus der Ich-Mutter bzw. Ich-Vater-Dualität hin zu größeren Beziehungsgruppen. Die größere Bandbreite an Emotionen und Handlungsfähigkeiten, das Wahrnehmen komplexerer Beziehungen erweitert die emotionale Flexibilität der Kinder.

Die wachsende Eigenständigkeit macht aber auch Angst, die nur durch gesicherte Beziehungen aufgefangen werden kann. Dafür ist – in den meisten Fällen – die Familie kein ganz schlechter Ort, außerfamiliäre Betreuungsangebote können das auch, wenn sie entsprechende psychologisch-pädagogische Konzepte haben und die notwendige finanzielle und vor allem personelle Ausstattung. Fachleute mahnen zum Beispiel an, dass für Zwei- bis Vierjährige ein maximaler Personalschlüssel von vier bis sechs Kindern pro BetreuerIn verantwortbar ist. Davon sind wir weit entfernt, die Angebote haben also häufig eher „Aufbewahrungs“-Charakter.

Wirkliche Wahlfreiheit würde also auch das sichere Gefühl für verantwortlich denkende Eltern voraussetzen, dass ihre Kinder nicht nur „satt und sauber“ untergebracht sind, sondern pädagogisch und emotional gut versorgt sind. Die Lafontaine’sche Kritik an der Unterordnung der Familie unter wirtschaftliche Interessen würde ich unterschreiben, richtig ist auch, dass die Erziehung von Kindern zu Hause eine zu honorierende gesellschaftliche Aufgabe ist. Nur gehen Lafontaine/Müller nicht weit genug in ihren Forderungen: Eine wirkliche Wahlfreiheit zwischen familiärer oder externer Betreuung kann erst dann entstehen, wenn eine bedingungslose Grundversorgung für alle existiert und damit wirtschaftliche Zwänge für die eine oder andere Entscheidung ausscheiden.

WOLFGANG PRELLE, Kirchheim unter Teck

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